Yannik Sellmann: "Slam ist nicht wie Skispringen"

München - Mit seinem Sieg hat der Student den Bayernslam nach München geholt und sich direkt für eins der drei Halbfinals qualifiziert. Ein Gespräch über Lese-Taktik, lauter werdende Musik und Psychosen.
AZ: Herr Sellmann, wie ist denn Ihre WpM-Quote – die Wörter pro Minute?
YANNIK SELLMANN: Weil ich so schnell lese? (lacht) Ich hab das nie gemessen, aber das ist jetzt wohl sowas wie mein Markenzeichen. Dabei ging es anfangs nur darum, mehr Text in die Zeit zu bekommen.
Sie wollen ihren Titel als bayerischer Slam-Meister verteidigen. Wie trainiert man für sowas?
Zwei Monate vorher gucke ich, wie viele Texte ich habe, die ich lesen darf – die aus dem Vorjahr gehen nicht noch mal. Wenn ich noch nicht genug habe, mit denen ich zufrieden bin, schreibe ich noch ein, zwei. Lyrische Texte lerne ich auswendig. Ohne Reim bringt das Nicht-Ablesen wenig, es macht den Text nicht besser. Aber Lyrik wertet es ziemlich auf.
Da kann natürlich dann auch mehr schiefgehen.
Ein Hänger wäre das Schlimmste! Man hat keine Zeit, nochmal den Zettel aus der Tasche zu ziehen und nachzulesen. Außerdem fliegt man dann ziemlich sicher raus, weil das Niveau der Veranstaltung so hoch ist.
Sind Ihre Texte auf die erlaubten fünf Minuten getrimmt?
Neue Texte sind bei mir eher sechs Minuten lang. Bei den meisten Slams muss man die Zeit nicht so streng einhalten, deshalb teste ich erst, was funktioniert und was nicht, und streiche dann. Bei den Meisterschaften darf man aber auf keinen Fall überziehen – nach 5:15 Minuten spielt die Regie Musik ein, bei 5:30 ist die so laut, dass man den Text nicht mehr hört. Und die meisten Texte leben ja von ihrem Ende.
Haben Sie etwas extra für den Bayernslam geschrieben?
Zwei meiner Texte sind relativ neu. Bei meinen Auftritten in München habe ich sie zurückgehalten, damit das lokale Publikum sie noch nicht kennt. Komplett neue Texte sind auch meist fatal auf Meisterschaften, weil sie noch ungetestet sind.
Wer ist Ihr größter Konkurrent?
Ich versuche, nicht zu viel drüber nachzudenken. Natürlich habe ich ein paar Poeten im Kopf, aber das ist immer relativ. Slam ist nicht Skispringen. Da weiß man, dass einer von den letzten Fünf gewinnt. Beim Slam kann quasi jeder Sieger werden. Ich war 2016 ja auch gerade ein halbes Jahr dabei und hatte das überhaupt nicht erwartet. Es setzen sich nie nur die Favoriten durch.
Also ist alles ein Glücksspiel?
Wenn ich den ersten Startplatz bekomme, kann ich direkt anfangen, zu trinken – da hat man keine Chance. Das habe ich noch nie erlebt bei einer Meisterschaft, dass der erste Poet gewinnt. Ansonsten kann man schon textlich taktieren. Eine halbe Stunde vor Beginn werden die Startplätze ausgelost. Wenn nach mir zwei starke Poeten dran sind, nehme ich eher gleich meinen stärksten Text, ansonsten halte ich ihn fürs Finale zurück. Und ich lasse mit einfließen, was die Textthemen der Poeten direkt vor und nach mir sind.
Sie sagen in einem Ihrer Texte, Sie müssen sich jedes Mal überwinden, in die Öffentlichkeit zu gehen. Wie sind Sie dann auf die Idee gekommen, auf einer Bühne zu stehen und über sich zu sprechen?
Das Frage ich mich auch! (lacht) Ich bin nicht total menschenscheu, aber aufgrund meiner psychotischen Krankheit kostet es mich immer noch etwas Überwindung, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Auf einem Poetry Slam muss ich glücklicherweise nicht in die Menge gehen und mit jedem Einzelnen reden, sondern nur vorlesen. Da habe ich nur mit mir selbst zu tun.
Ihre autismus-ähnliche Psychose thematisieren Sie in einem Ihrer Slamtexte. Bereuen Sie das inzwischen?
Nee, auf gar keinen Fall. Das ist mein Lieblingstext. Als ich vor anderthalb Jahren angefangen habe, habe ich mich nicht an so persönliche Themen rangetraut. Ich habe angefangen mit Texten ohne Aussage, die nur witzig sein sollten. Irgendwann dachte ich: Darüber schreibe ich jetzt mal. Ich habe seit ein paar Jahren keine akuten Probleme mehr und war in der Position, darüber sprechen zu können. Die Rückmeldungen sind sehr positiv! Menschen mit dem gleichen Problem kommen zu mir und sagen, das hätte ihnen Mut gemacht.
Sind Sie nervös wegen Ihres Halbfinals Freitagnacht?
Noch nicht, aber das kommt sicher noch. Ich gucke mir vorher das U20-Finale in der Schauburg an. Es hilft, zu sehen, wie andere Slammer was Gutes auf die Bühne bringen.
Wann fällt die finale Entscheidung, welchen Text Sie lesen?
Wenn der Poet, der vor mir gelesen hat, von der Bühne geht. Und dann bin ich Tunnel. Die Aufregung pusht einen unglaublich. Auftritte bei Slam-Meisterschaften sind schon die geilsten.
Der Bayernslam (Einzel & U20) findet bis Samstag unter anderem im Lustspielhaus, dem Volkstheater und dem Literaturhaus statt. Resttickets unter: www.bayernslam2017.de