Wut, Meditation oder Edelkitsch?
Der dritte Satz schildert den Stillstand des Lebens im Winter durch kreisende Kanons. Davor werden der amerikanische Herbst und der französische Sommer fast impressionistisch ausgemalt. Als Rausschmeißer gibt es ein deftiges Frühlings-Quodlibet. Wenn diese stimmungsvollen „Vier Jahreszeiten” 1950 nicht der berüchtigte Avantgardist John Cage komponiert hätte, würde das aus musikalischen Pünktchen zusammengesetzte „String Quartet in Four Parts” zur Freude auch konservativer Kammermusik-Hörer öfter in ganz normalen Streichquartett-Abenden gespielt.
Weil es sich um ein sehr leises Werk handelt, das mit minimalem Bogendruck und ohne Vibrato fast ausdruckslos ausgeführt werden soll, passte es auch perfekt zur halligen Akustik der Schwabinger Kirche St. Ursula. Danach wuchs das zahlreich erschienene Publikum trotz verteilter Decken zu einer fröstelnden Schicksalsgemeinschaft zusammen: Das Arditti-Quartet spielte eine knapp 90-minütige Bearbeitung der „44 Harmonies from Apartment House” von John Cage aus dem Jahr 1976.
Dabei handelt es sich um mit Hilfe des chinesischen Orakelbuchs „I Ging” ausgedünnte Choräle aus dem Amerika des 18. Jahrhunderts. Und wie man auf diese einförmig stille Musik reagiert, hängt von Gestimmtheit des Hörers ab: Man kann genervt gehen, was nur wenige taten. Man kann in eine meditative Stimmung verfallen, was der Pfarrer durch gehöriges Räuchern der Kirche vor dem Konzert begünstigte. Man kann die Art und Weise, in der Cage hier das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster Herkunft verklärt, angesichts der vergangenen und gegenwärtigen Realität in den USA aber auch für Edelkitsch halten.
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