Wunder jeschehn
Von wegen "hartzen": Warum Guido Westerwelle dringend Doris Dörries leichte wie sensible Komödie "Die Friseuse" sehen sollte.
Es gibt jemanden, der diesen Film sehen muss! Aber er wird ihn meiden, weil sonst sein Sozialzynismus entlarvt wäre: Guido Westerwelle.
Mit „Die Friseuse“ hat Doris Dörrie einen der bewegendsten Filme geschaffen: stark, ergreifend, heiter, doch auch gewichtig – im wahrsten Sinne der Hauptperson, einer dicken Friseurin (Gabriela Maria Schmeide). Dabei ist der Film auch leicht, zum Lachen und Weinen – mehr kann Kino nicht bieten! Vor allem, wenn die Hauptfigur eine patente Heldin des Alltags ist mit sympathischen Schwächen. Denn Kathi König schlägt sich mit Berliner Schnauze – die eben nicht vulgär, sondern quirlig, witzig, schlagfertig ist – durch das eisenharte Leben in Berlin Marzahn: Ihr Mann ist mit ihrer besten – dünnen – Freundin durchgebrannt, ihr Haus und der Job sind weg, aber nicht ihre mitreißende Lebenswucht. Sie „hartzt“ nicht, ist eine Stehauffrau, auch wenn das Aufstehen schwerfällt.
Im Job-Center spürt Kathi die Ratlosigkeit bei 15 Prozent Arbeitslosigkeit, aber sie bewirbt sich unermüdlich: „Ich bin halt ’ne Friseuse. Und wenn ’ne Frau ausm Laden jeht, strahlt wie ’ne Königin, macht mich det glücklich.“
Zum Vorstellungsgespräch hat sie sich rührend grell zurechtgemacht im leuchtend grasgrünen Kleid mit prall-bunter Obst-Kette. Sie kommt mit soviel Elan und prallt an der arroganten „Teamchefin“ ab. Kathi kann und will es erst nicht glauben. Dann spricht die Dame Klartext: „Es ist ein ästhetischer Beruf. Und Sie sind nicht ästhetisch!“ Aus der Traum. Und eine Eleganz des Filmes von Doris Dörrie ist, dass im Augenblick der Niedergeschlagenheit der Film seinen Blick ändert: Plötzlich sschauen wir auf unauffällige Figuren in der fröhlich bunten Konsumwelt des Einkaufszentrums: Rentner, Arbeitslose, Trinker, die hier still die Zeit totschlagen.
Aber zu Kathi passt keine Resignations-Biografie, sie wird zur gewagt-optimistischen Existenzgründerin mit eigenem Salon: „Haare wachsen zu allen Zeiten“, sagt sie sich, aber dann ruiniert sie die Gewerbeaufsicht.
Das Plattenbau-Leben, die Einkaufs-Malls kommen in diesem Film genauso vor wie Schlepper-Realität für illegale vietnamesische Einwanderer. Die Kunst des Filmes ist es dabei, weit über Klischees hinauszugehen und eine große Sensibilität zu haben. So untermalt zum Beispiel originelle tuba-lastige Blasmusik der bayerischen LaBrassBanda Kathis beherztes übergewichtiges Stapfen, zum Teil in witziger Hinter(n)-Ansicht gezeigt, eher bewundernd heiter, nie diskriminierend. Denn das witzige Drehbuch (Laila Stieler) hat viel Sympathie für das Prekäre. „Wunder geschehen“ singt Nena im Film, dieser Film ist ein Filmwunder. Adrian Prechtel
Münchner Freiheit, Solln
R: Doris Dörrie B: Laila Stieler (D, 100 Min.)