Wo spürt man das Wesen des Königs?

Heute ist der 166. Geburtstag Ludwigs und die Ausstellung „Götterdämmerung – König Ludwig II” auf Herrenchiemsee feiert Besucherrekorde. Aber sie ist auch etwas staatstragend und feige
von  Adrian Prechtel

In sommerlicher Hitze liegt das Schloss. Durch den umgebenden See ist es nicht ganz so heiß wie in der Ludwig so verhassten Landeshauptstadt, dafür aber feuchter, also tropischer. Die musikalischen Sommerfestspiele hier hatten den Slogan „Der Welt entrückt” vorangestellt: Herrenchiemsee als Refugium! Aber das Schloss, das nie zum Wohnen, sondern als begehbares Monument für den Sonnenkönig Louis XIV. gedacht war, besuchen jetzt täglich zwischen 3500 und 5000 Menschen. Die Landesausstellung „Götterdämmerung – Ludwig II” erwartet schon den 365000. Besucher und hat so bereits rund 2,5 Millionen Euro eingespielt.
Heute, an Ludwigs 166. Geburtstag, ist noch einmal ein guter Zeitpunkt, die Ausstellung kritisch zu befragen. Denn wer genauer hinschaut, stellt fest, dass die Macher vom Haus der Bayerischen Geschichte doch etwas feige und staatstragend waren.

WO BLEIBT DIE HOMOSEXUALITÄT?

Es war zu Lebzeiten überhaupt kein Geheimnis, dass der König schwul war. So schrieb zum Beispiel der Ministeriale Gottfried von Böhm: „Die Verlobung ist an dem Mangel des natürlichen Triebes zur Eheschliessung seitens des anomalen Bräutigams” gescheitert. Oder bei einer staatsanwaltlichen Vernehmung sagte Oberstallmeister von Lerchenfeld: „Seine Majestät triebe es mit seinen Reitknechten Joseph und Ludwig Völk. Seine Majestät sei ein Spinatstecher”. Es wurde lebenslang heftig geküsst zwischen Ludwig und Männern – bis zu seinem Tod. Immer wieder hat er sich zwar geschworen: „Keine Küsse mehr, Reinheit, Königtum”. Aber verwirklichen konnte er es nie. Ludwig-Forscher Alfons Schweiggert bringt es auf den Punkt: „Ludwig quälte sich mit seiner Homosexualität, aber sie war ein wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit. Wer ihm diesen Aspekt immer noch verweigert, nimmt ihm seine Würde.” Aber warum geht dann eine Landesausstellung noch im Jahr 2011 so schamhaft damit um?

MEHR EXZENTRIK!

Ludwig machte den Tag zur Nacht und umgekehrt, rauchte Opium, veranstaltete Waldfeste mit jüngeren Bediensteten auf dem Schachen-Haus, wo Tänze aufgeführt wurden, bei „welchen gar kein Kostüm sogar dem maurischen vorgezogen wurde”. Die Separataufführungen in Opern und Theatern mit Ludwig als einzigem Zuschauer, seine Idee auszuwandern und ein Land zu suchen, dass ihn als absolutistischen Herrscher anerkennen würde, das alles wird in der Ausstellung nicht thematisiert.

SCHULDENKRISE

14 Millionen Mark Schulden am Ende! Eine – zugegeben – damals irrsinnige Summe. Aber die Ausstellung erwähnt nicht, dass es seriöse Entschuldungspläne für Ludwigs Privatverbindlichkeiten gab, die dem König bewusst verheimlicht wurden, weil man ihn ja auch wegen seiner Bauwut und Verschwendungssucht für geisteskrank erklären wollte.

ABSETZUNGSSKANDAL

Mit keinem Wort erwähnt die Landesausstellung, wieviele Gesetze bei der Absetzung des Königs gebrochen wurden durch Hausfriedensbruch, Entmündigung ohne Richter und rechtliches Gehör, Freiheitsberaubung und den kalten Entzug eines Alkoholikers.

Dass sich in der Enge der zehn Räume keine Romantik oder ludwighafte Realitätsflucht einstellen mag, liegt auch an der derzeit permanent leichten Überfüllung. Aber natürlich darf man einer Ausstellung ihren Besuchererfolg nicht zum Vorwurf machen. Dieser liegt auch daran, dass sämtliche modernen museumspädagogischen Unterhaltungs-Tricks angewendet werden wie 3D-Projektionen oder ein Tretrad für Besucher zur Stromerzeugung mit Dynamo. Und wer an einer der offiziellen Führungen teilnimmt, kann in eine richtig volksnah bairische geraten oder in eine fundiert hochdeutsche.

„Götterdämmerung – König Ludwig II”, Bayerische Landesausstellung auf Schloss Herrenchiemsee, bis 16. Oktober, 9 – 19 Uhr, 9,50 / 8,50 Euro, ein Euro Ermäßigung bei Vorlage einer Bahnfahrkarte nach Prien, Bernau, Übersee. Kinder sind kostenlos; bis 18 Jahre Eintritt nur 1 Euro. Tel. 08051 / 6887130. Katalog 18 Euro

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