Wo lauert der Mensch?
Das Trio ist wirklich infernal, im ganz wörtlichen Sinne. Und man weiß nicht so recht, ob der ehemalige Herr des Hauses, Franz von Stuck, tatsächlich Gefallen gefunden hätte an diesen Gästen. Denn neben seiner nahezu barbusigen „Sünde” drangsalieren uns gleich drei Sirenen mit bohrenden Blicken. Zwei Ladies der Upperclass, die traurigen Gesichter auf Jung geschnippelt, die grob gelebten Züge pastos überschminkt; gegenüber dann eine Pyjama-Hexe mit mächtigem Zottelhaar und weit heraushängender schlaffer Theaterbrust.
Mehr Kontrast geht nicht im „Alten Atelier”, dieser heiligen Halle des Künstlerfürsten. Fulminanter kann man Cindy Shermans Lebenshorribilitäten aber auch nicht inszenieren. Wie Altargemälde thronen sie in einer düsteren Kapelle der Kunst und bilden den grandiosen Auftakt zu einer brillanten Schau: Die Sammlerin Ingvild Goetz hat ihr Depot geöffnet und dem Museum Villa Stuck einen aufregenden Reigen fotografischer Positionen beschert. 24 Künstler sind mit mehreren Objekten vertreten. August Sander – er überrascht in dieser Kollektion – und Walker Evans. Die schonungslos porträtierende Diane Arbus und William Egglestone. Thomas Struth und Candida Höfer. Oder Youngsters, Jahrgang 1973, wie Tobias Zielony, der die Drogendeformation einer Chemiestadt nach dem Niedergang dokumientiert, und Daniela Rossell mit ihren Einblicken ins durchgeknallte Dasein von Millionärsgattinnen.
Unter dem Titel „Street Life & Home Stories” ist die komplette Villa zum Fotomuseum mutiert. Man könnte also auch einen anderen Weg nehmen, sich im großen Parterreraum erst einmal durch die „Wie im richtigen Leben”-Puppenstuben der Laurie Simmons fieseln. Erstaunlicherweise hat es die New Yorkerin nie zur Bekanntheit ihrer fünf Jahre jüngeren Weggefährtin Sherman gebracht. Jetzt kann man die beiden ganz ungeniert vergleichen, und dann wird doch wieder klar, weshalb die sich selbst bis in monströse Urängste und Mysterien drapierende Sherman eben mehr Aufmerksamkeit erregen musste. Und muss.
Freundlicherweise sind die beiden nicht direkt miteinander konfrontiert. Statt dessen öffnen sich neben Simmons die perfektionistisch ausgetüftelten kinematografischen Inszenierungen Jeff Walls. Den schnöden Alltag in einer Küche etwa überführen sie in ein stilles Bild voller Poesie.
Überhaupt sind es die Gegenüberstellungen, die dieser Ausstellung einen besonderen Kick geben. Manchmal wirken sie wie zufällig, etwa durch einen Blick um die Ecke oder in den übernächsten Raum. Dann korrespondieren Hans-Peter Feldmanns menschenleere Hotelbetten (sie hängen tatsächlich mal hinter Glas) plötzlich mit den Kissen, auf denen es Nan Goldin in schwarzer Wäsche treibt. Ihre Nachtwelt der Dragqueens und Prostituierte, der Stricher und Junkies ist in ihrer schonungslosen Direktheit auch nach zwanzig Jahren Kunstmarkt-Gewöhnung noch schockierend. Und beklemmend, wenn sie ihre langjährige Intimfreundin Cookie bis zu deren elenden Aidstod 1989 begleitet.
Dann kommen vergleichbare Mechanismen in Gang wie bei Nobuyoshi Araki. Der mit seinen Bondagefotografien bekannt gewordene Japaner „dokumentiert” das leise Sterben seiner Frau. Von kühler Elegie sind diese Aufnahmen, der U-Bahn-Schacht ins Ungewisse, die Blumen und schließlich die um einen Altar der Erinnerung somnambulierende Katze, die seine Frau in den ersten Sequenzen noch auf dem Arm trägt.
Man ertappt sich immer wieder als Voyeur. Nicht nur bei den „Homestories”, genauso auf den schmutzigen Straßen, die Obdachlosen ein unwirtliches Bett bereiten. Letztlich geht es ja doch immer ums Leben, auf das wir blicken, das inszenierte wie das authentische, das geschminkte oder fein retuschierte wie das pure Dasein. Und insofern hängt auch August Sander mit seinen Menschen des 20. Jahrhunderts hier goldrichtig.
Bis 11. September, Katalog 35 Euro (Hatje Cantz)
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