Wo er stand, war Deutschland

Heute stellt Inge Jens ihr Buch „Am Schreibtisch“ im Literaturhaus vor: Inge Jens über Thomas Manns Rettungsinsel aus Mahagoni. Der Schreibtisch überquerte Meere, Kontinente und den Zürichsee. 
von  Dirk Heißerer

Heute stellt Inge Jens ihr Buch „Am Schreibtisch“ im Literaturhaus vor: Inge Jens über Thomas Manns Rettungsinsel aus Mahagoni. Der Schreibtisch überquerte Meere, Kontinente und den Zürichsee.

Exilgeschichte einmal anders: erzählt anhand eines Möbels. Inge Jens, die Herausgeberin von Briefen und Tagebüchern Thomas Manns und Familien-Biographin, hat sich in einer „Meditation", wie sie es nennt, einem „in der Geschichte der Emigration einzigartigen Phänomen" gewidmet: Thomas Mann hat es geschafft, dass ihm sein gewichtiger neobarocker Mahagoni-Schreibtisch auf geradezu magische Weise an alle längeren Stationen seines Exils nachgefolgt ist.

Neobarockes als Rettungsanker im Exil

Es begann unversehens im Februar 1933 mit einer Vortragsreise nach Amsterdam, Brüssel und Paris und führte durch Schweizer Hotelzimmer und eine Sommerbleibe in Südfrankreich in ein Haus in Küsnacht bei Zürich. Dort konnte sich Thomas Mann schon Ende November 1933 wieder an seinen Münchner Schreibtisch setzen. Das hatte er geschickten Helfern zu verdanken, die einen Großteil des im Haus an der Poschingerstraße verbliebenen Hab und Guts über Deckadressen nach Zürich geschickt hatten. Der Schreibtisch wurde zum „Symbol des Überlebens", zu einer Bastion gegen das von den Nationalsozialisten in Deutschland angerichtete Weltunheil.

Geheimfächer nur für den Autoren

Er war allerdings auch, was weniger bekannt ist, Tresor für allerlei Manuskripte, zu denen nur der Autor selbst den Schlüssel hatte. Angenehm lesbar verbindet Inge Jens das private Schicksal des Autors mit seinen Werken, die er an dem Schreibtisch fortführt, neu beginnt und beendet, mit den jeweiligen Lebensorten an denen der „Kaiser des Exils" (Ludwig Marcuse) zum Weltbürger und Repräsentanten des „anderen“ Deutschlands wird. Er ist die Treppe immer hinaufgefallen, sagt er dazu, und hat recht. In Küsnacht beendet Thomas Mann den dritten Joseph-Roman, schreibt den Goethe-Roman „Lotte in Weimar" und bekennt sich zur Emigration. Dann geht es 1938 über den Atlantik nach Amerika, der Schreibtisch kommt per „Lift" hinterher. In Princeton an der Ostküste beginnt der Gastprofessor und Nachbar Albert Einsteins mit seinen Radioreden an „Deutsche Hörer". Nach dem Umzug an die Westküste schreibt er im eigenen kalifornischen Haus über dem Pazifik am Schreibtisch und in der Ecke des neuen bequemen Blumensofas den vierten Joseph-Roman sowie den großen Zeitroman „Doktor Faustus".

Flucht  vor der McCarthy-Zeit zurück nach Europa

Die Rückkehr nach Europa 1952 ist eine zweite Emigration, eine Flucht vor der schrillen Kommunistenhetze der McCarthy-Zeit. Von Erlenbach an der „Goldküste“ des Zürichsees folgt der Schreibtisch seinem Herrn im April 1954 über den See an die „letzte Adresse", das eigene Haus in Kilchberg an der Alten Landstraße. Der Schreibtisch, „groß und verlässlich" (Erika Mann), wird an all diesen Orten in all diesen Jahren zum „Symbol für gelingendes Leben", am Schluss aber auch „Sinnbild verlorener Schaffenskraft". Nach dem Tod Thomas Manns gelangt das Möbel 1961 mit dem Arbeitszimmer in das neue Thomas-Mann-Archiv im Zürcher Bodmerhaus. Damit, oder besser mit einem als „Zugabe" bezeichneten Brief Thomas Manns an ihren in diesem Jahr verstorbenen Gatten Walter Jens, beendet Inge Jens ihr Buch.

Ein Doppelgänger steht bald in Feldafing

Die Geschichte geht aber weiter – in Bayern. Denn seit dem Film „Die Manns. Ein Jahrhundertroman" (2001) von Heinrich Breloer hat der Schreibtisch Thomas Manns in München einen Doppelgänger. Der kam in der nachgebauten ‚Poschi' auf dem Gelände der Bavaria-Film mit Armin Müller-Stahl als sinnierendem Thomas Mann zum Einsatz. Nach dem Ende der Dreharbeiten hat das Thomas-Mann-Forum München diese Requisite samt Stuhl erworben. Nach langer Zeit im Depot ist nun eine dauerhafte Präsentation im Feldafinger Thomas-Mann-Museum ‚Villino' geplant, mit Fotos all derjenigen Orte der Welt, an denen das Original seinem Besitzer zur Rettungsinsel hatte werden können.

Inge Jens: „Am Schreibtisch. Thomas Mann und seine Welt“, heute 20 Uhr, Literaturhaus, Salvatorplatz
(Buch: Rowohlt, 208 S., 19.95 Euro)

 

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