Wo der Hammer hängt

Bis heute müssen die Mitarbeiter der Staatsoper entscheiden, ob sie am Japan-Gastspiel im Herbst teilnehmen wollen. Die Belegschaft ist gespalten, die Leitung des Hauses agiert eher ungeschickt
von  Robert Braunmüller

Wer Angst hat, der hat recht. Da helfen auch die besten Argumente nicht. In den Ohren des Ängstlichen klingen sie nach Beschönigung, Gesundbeterei und ruchlosem Optimismus.

München - Diese Erfahrung wiederholt sich derzeit in der Bayerischen Staatsoper. Im Herbst sollen 400 Mitarbeiter nach Japan reisen. In Tokio und Yokohama ist ein großes Gastspiel mit Wagners „Lohengrin”, Donizettis „Roberto Devereux”, der Strauss-„Ariadne” und mehreren Konzerten geplant, das seit Fukushima die Belegschaft spaltet.

Zuletzt hatten sich Intendant Nikolaus Bachler und Generalmusikdirektor Kent Nagano in Tokio ein Bild von der Lage gemacht. Bei einer außerordentlichen Personalversammlung am vergangenen Dienstag sprachen sie sich für das Gastspiel aus. Zwei Strahlenexperten meldeten ebenfalls keine Bedenken an. Der Personalrat hat dagegen ein Gutachten des atomkritischen Strahlenmediziners Edmund Lengfelder vorliegen, das von der Tournee abrät.

Unter diesen Umständen war es kaum besonders klug, am nächsten Tag eine Meldung herauszugeben, dass die Staatsoper an dem Gastspiel festhalte. Das dürfte Trotzreaktionen provozieren: Heute läuft die Frist ab, bis zu der die Mitarbeiter der Staatsoper für die Dauer des Gastspiels unbezahlten Urlaub nehmen können.

Das ist nicht ohne Risiko: Wenn alle acht Kontrabassisten geschlossen verweigern, ist es kaum mehr das Bayerische Staatsorchester, das dann in Japan gastiert. Es gibt auch recht hartnäckige Gerüchte, einige prominente Solisten wollten nicht mitfahren.

Die New Yorker Metropolitan Opera war kürzlich in einer ähnlichen Lage: Jonas Kaufmann, der beim Gastspiel der Bayerischen Staatsoper, nach derzeitigem Stand als Lohengrin, teilnehmen wird, sagte der Met ab, ebenso Anna Netrebko und Joseph Calleja. Die Dresdner Philharmonie hat ihr Gastspiel komplett storniert; und kurz nach dem Tsunami wollte das Salzburger Mozarteumorchester nicht einmal mehr nach Korea fahren.

Kollektive wie Orchester, Chöre und Bühnentechniker funktionieren eben nicht immer ganz rational. Wenn man sich bei anderen Münchner Orchestern umhört, ob sie derzeit nach Japan reisen würden, ist ein vorsichtiges „Ja” zu vernehmen. Stephan Gehmacher, der Manager des BR-Symphonieorchesters würde seinen Leuten zu einem Gastspiel raten, allerdings erst nach eingehender und offener Diskussion.

Da scheint in der Staatsoper psychologisch einiges schief gelaufen zu sein. Dass nun sogar deutsches Trinkwasser mitgenommen werden soll, wird die Ängstlichen ebenso wenig beruhigen wie die Versicherung, dass sogar in unmittelbarer Nähe des havarierten Kraftwerks die Strahlenbelastung nicht höher ist als bei einem Flug von München nach Tokio. Es gibt andererseits aber auch Musiker, die aus Solidarität mit den Tsunami-Opfern gern in einer Notunterkunft spielen möchten.

Die Absage des Japan-Gastspiels wäre teuer für die Staatsoper, weil es keine offizielle Reisewarnung für Japan gibt. Übrigens wurde auch die Münchner Presse von der Staatsoper zur Begleitung dieses prestigeträchtigen Gastspiels eingeladen. Wenn man sich unter den Kollegen umhört, würden alle Zeitungen einen Mitarbeiter schicken. Die Ängste eines jeden in Ehren: Aber es könnte sein, dass mit Hilfe der Atompanik in der Staatsoper die Unzufriedenen dem, bisweilen recht forsch auftretenden, Intendanten Bachler zeigen möchten, wo der Hammer hängt.

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