Wirtshauskultur: Innerer Halt am Henkel des Kruges
Anno 1878 hat der damals noch recht junge Maler Friedrich August von Kaulbach die gleichaltrige 18-jährige Hilfskellnerin Coletta Möritz gemalt, als eine Art maßkrugkredenzendes Model für ein großes Münchner Schützenfest. Recht rasch wurde aus ihr die Figur der "Schützenliesl", eine wirkmächtige Darstellerin des Wirtshauswesens schlechthin: die mit allen Brauwassern gewaschene Kellnerin, die zusammen mit Wirt oder Wirtin und den Stammtischgästen die Kernbesatzung eines klassischen Wirtshauses bildete und heute noch bildet.
Dieses Personal spielt eine Rolle in der jetzt anrollenden Bayern-Ausstellung im Regensburger Museum des Hauses der Bayerischen Geschichte (HDBG), die den Titel "Wirthaussterben? Wirtshausleben!" trägt und sich ausgiebig der freistaatlichen Gastronomie widmet - rund um das zentrale Nahrungsergänzungsmittel bayerischer Gesamtsättigung: das Bier.
Das Wirtshaussterben ist real
Ein Fragezeichen und ein Ausrufezeichen kennzeichnen den Titel. Und das ist Programm dieser Ausstellung, die nicht nur nach Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch nach der Zukunft der Wirtshäuser in Altbayern, Franken und Schwaben fragt. Denn dass das Wirtshaus, eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, seitdem kontinuierlich am Verschwinden und Sterben ist, beweist die Ausstellung mit Statistiken und Informationen über die Hintergründe dieser Tendenz ausgiebig.
Und diese Gründe sind zahlreich. Feinde der Wirtshäuser sind: Getränkemärkte, Vereinsheime, Fernseher, Schnellimbisse, Personalmangel, Umgehungsstraßen, Vereinsheime, Rauchverbot, Promillegrenzen und jede Menge staatlicher Auflagen. Bürokratie statt Bierokratie.
Was das Wirtshaus alles kann
Das alles macht das Fragezeichen in einer Ausstellung mit 600 Exponaten auf 500 Quadratmetern durchaus sinnstiftend. Und weil das HDBG seine Geschichtsexkursionen immer gern möglichst süffig und sinnlich gestaltet - man kann interaktiv werden, aber auch flippern und kegeln -, ist auch ein wunderbarer gut 25-minütiger Film von Michael Bauer zu sehen, der allein schon als konterkarierendes Ausrufezeichen da steht und zeigt, was das Wirtshaus eigentlich so alles kann. Oder könnte: Zusammengehörigkeitsgefühl schaffen. Kultur aufs Land bringen. Erinnerungen prägen.

Manchmal gelingt das auch heute noch, meistens aber sperren nach wie vor Wirte eher zu als auf. Und trotzdem werden gute Ideen immer noch belohnt. Manche Gasthäuser boomen und brummen. Dieses Boomen und Brummen hat durchaus Tradition. Lange galt, dass, wer ohne Stammtisch ist, nur ein halber Mensch sein kann.
Wirtshäuser bis heute als Bayern-Klischée
Ein Gemälde von Eduard von Grützner, gemalt Ende des 19. Jahrhunderts, zeigt so einen lauschigen Wirtshaustisch, auf dem gekartelt wird und um den herum man raucht, flirtet, sein Bier goutiert, ratscht oder auch einmal ein Nickerchen macht. Lange war diese "Gemütlichkeit" Werbebegleitung für die weltweit vertriebene Bier-Industrie und hat sich im Kern bis heute als Bayern-Klischée erhalten. Von Chicago bis Tokio: Auf geht's zum Oktoberfest. Es sind all diese einzelnen Aspekte rund um die Wirtshauskultur, die die Ausstellung in acht Abteilungen prägen.

Die befinden sich rund um eine zentrale Installation, die der Ausstellungsgestalter Friedrich Pürstinger ersonnen hat und die in einer Art eingefrorener Detonation Besucherinnen und Besuchern der Schau Wirtshausinventar um die Ohren fliegt: Tische, Stühle, Speisekarten, Nudelsiebe, Schinkenpresse, Gewürzwaage. Rundherum wird ein assoziativer Wortsalat projiziert. Schließlich geht's im Wirtshaus immer auch ums Essen und Trinken. Oder um das, was der Wiener Schriftsteller Heimito von Doderer an den Bewohnern jenseits der österreichischen Grenzen dingfest machte: ein "pantagruelisches Fressen und Saufen". Weithin spannt die Regensburger Schau hier den kulinarischen Genussbogen: vom Schnupftabak bis zum schwäbischen Krautkrapfen.
"Eine Krise, die in Bayern ganz besonders gespürt wird"
Das Thema Wirtshaus ist von den derzeitigen Identitätsdebatten keineswegs zu trennen. Und es ist ein politisches. Auch hier ist die Assoziationsbreite weit genug für ein gedankliches Sprungtuch, auf dem man nachdenken darf über die anarchische Kraft des Beieinanderhockens im Biergarten oder Bierzelt und die einstigen erbärmlichen Brüll-Attacken eines Adolf Hitler in den Münchner Bierpalästen. Und während der eine heute einfach nur seinen inneren Halt am Henkel seines Maßkrugs sucht, will die andere politische Belehrung erheischen am Nockherberg oder beim politischen Aschermittwoch. Der Tanzboden, die Kegelbahn, das Bauerntheater, das Nebenzimmer-Kabarett: Da durchdringen sich Alltag und Freizeit, Kohlensäure und Kultur, Gesellschaftliches und Geistiges auf den flüssigkeitsgetränkten Dielen der Wirtschaften.
Wirtshäuser sind mithin ein "fundamentaler Bestandteil der bayerischen Kultur", wie HDBG-Direktor Richard Loibl bei einer Präsentation der Schau sagte. Deswegen sei das Wirtshaussterben "eine Krise, die in Bayern ganz besonders gespürt wird". Somit kann die Ausstellung auch beweisen, welcher Schatz die Wirtshauskultur - immer noch - ist. Den man vielleicht nach dem Rundgang etwas mehr schätzen kann. Und wer weitermachen will: In der Hauptausstellung im ersten Stock des Hauses am Donauufer geht es unter anderem weiter mit einer erstaunlichen Maßkrug-Sammlung und den Welterfolg bayerischer Braukunst.
"Wirthaussterben? Wirtshausleben!" bis 11. Dezember, im Haus der Bayerischen Geschichte, Donaumarkt, Regensburg (Di-So 9-18 Uhr), hdbg.de
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