„Wir versenken die Türkei“
Der Autor befindet sich momentan in England – und fiebert am TV mit seinen „Jungs“ mit. Er drückt wohlgemerkt der deutschen Mannschaft die Daumen. Über Integration, doppelte Beflaggung und Abrschnungsparolen spricht er im AZ-Interview.
Jenseits der Sprache muss und darf auch mal der Ball rollen. Der deutsch-türkische Autor Feridun Zaimoglu befindet sich zwar momentan in England, um dort für seinen neuen Roman zu recherchieren, doch auch er ist, wie sich im AZ-Gespräch herausstellt, von der EM-Droge angefixt.
AZ: Herr Zaimoglu, Sie wurden im anatolischen Bolu geboren und leben seit über 37 Jahren in Deutschland. Für wen schlägt heute Ihr Herz?
FERIDUN ZAIMOGLU: Für Deutschland. Es ist so: Immer wenn ich sage, dass „unsere Jungs“ gewinnen werden, fragen mich die Leute, wen ich eigentlich damit meine. Es wird darauf hinauslaufen, dass ich mich über Tore unserer deutschen Jungs Freude. Ich werde aber nicht in großen Jubel ausbrechen. Das ist so ein bisschen das Podolski-Phänomen.
Zwei Herzen schlagen in Ihrer Brust.
Eigentlich nicht, das wäre ja auch anatomisch falsch. In meiner Brust kann nur ein Herz schlagen, und auch bei diesem Spiel sind meine Vorlieben ganz klar, aber ich habe natürlich auch Sympathie mit den prächtigen Jungs der Mannschaft meines Vaters.
Sie haben mit Ihrem Vater eingehend schon über das Spiel gesprochen?
Natürlich. Er sagt: Wir machen euch fertig. Ich sage: Vater, davon träumst du nur. Wir schicken euch nach Hause!
Wenn die Türken gewinnen, stürzt Sie das aber auch nicht in Depressionen?
Wieso soll das so sein? Im Fußball gibt es keine halbgaren Gefühle. Ich gehe fest davon aus, dass wir die versenken. Mein Tipp lautet 3 : 1.
Michael Ballack hat den Türken „die deutsche Mentalität“ unterstellt. Würden Sie das unterschreiben?
Überhaupt nicht. Es wird ja immer wieder von deutschen Tugenden gesprochen, allen voran Günter Netzer hat das ins Spiel gebracht. Da wäre ich vorsichtig: Wir sind nicht in der Montage-Halle. Wir sind auf dem Fußballplatz. Wenn man von Disziplin und Durchhaltevermögen als deutschen Tugenden spricht, muss man auch von den Tugenden der Senegalesen sprechen und so weiter. Es wird da ein bisschen geschummelt, denn für alle Mannschaften gilt es doch, bis zuletzt durchzuhalten und aufs gegnerische Tor loszustürmen. Man sollte weniger von Mentalitäten sprechen, als vielmehr darüber, ob das Bestien, Tiere sind auf dem Feld und ob die bis zum Ende kämpfen. Das gilt für alle Mannschaften.
Die Last-Minute-Siege der Türken – haben Sie dafür eine Erklärung?
Diese Last-Minute-Siege haben einen Haken: Man fängt sich ja erst mal ein Tor oder zwei! Das kann wie eine Backpfeife zum Wachwerden sein, aber das zeigt auch die Schwächen der Türken: Die Pässe kommen nicht an, weshalb man oft auf engem Raum spielt. Die Defensive ist eine Katastrophe. Nicht zu vergessen: die eklatanten Torwartfehler. Und es dauert immer eine Spielhälfte, bis sie das Mittelfeld organisiert haben.
Kann so ein Spiel den interkulturellen Dialog fördern oder ist mit Ausschreitungen zu rechnen?
Weder noch. Was will man denn aus den Tifosi und den Fußballfans machen? Irgendwelche Hippies, die für den Frieden skandieren? Was soll der Blödsinn? Über Integration wird sehr viel gesprochen, auch sehr viel Blödsinn. Auf dem Feld wird schlecht gespielt oder gut gespielt, mehr nicht. Es ist schön, es ist aufregend – es ist ein Fußballspiel. Was ich nennenswert gesehen habe, ist, dass viele Autos auf Deutschlands Straßen doppelt beflaggt fahren. Das ist gut. So habe ich das bei der WM nicht gesehen.
Im Fernsehen meinten auch Fans, dass sie mit beiden möglichen Spielausgängen glücklich wären.
Eben. Selbstverständlich wird das Spiel von außen symbolisch aufgeladen, man erhofft sich da fast, dass so etwas wie ein Ruck durch Deutschland geht. Aber es wäre Blödsinn, irgendwelche Erwartungen zu haben oder sogar davon auszugehen, dass nach einem deutschen Sieg halb Deutschland wegen der Entrüstung von den Türken im Sturm erobert wird. Es wird immer Idioten geben, die sich die Rübe vollgepumpt haben, um das salopp zu sagen, und Leute, die alles zum Anlass nehmen, um Randale zu machen. Ich gehe aber nicht davon aus.
Wo schauen Sie das Spiel an?
In Swansea, in Süd-Wales. Ich bin mit meinem besten Kumpel hier. Wir müssen natürlich schauen, dass wir nicht in einem Pub sitzen, in dem die Deutschen nicht so wohlgelitten sind. Das wäre natürlich fatal, wenn wir beide uns heiser brüllen und erst spät merken, dass die anderen aufgestanden und näher gerückt sind.
Haben Sie mit Ihrem Vater gewettet?
Gewettet nicht. Meine Eltern sind in der Türkei, und wir haben bislang in den Hörer entweder Triumphgeheul gebrüllt oder martialische Abrechnungsparolen.
Und nach dem Spiel ist das Tischtuch zwischen Ihnen beiden zerschnitten?
Davon ist nicht auszugehen. Ich werde mich aber, wenn unsere Jungs gewinnen, jeglichen Spottes und Häme enthalten.
Michael Stadler