Willkommen in Almanya

Euphorie, Faszination, Amüsement, Häme: Es waren die Tage der Deutschen auf der Berlinale mit Wim Wenders und Werner Herzog in 3D, Buhgewitter und einem Möchtegern-Skandal
Florian Koch |
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Ehebrüche kommen vor, auch in Filmen. Warum also dieser Aufruhr? Nun, die Regisseurin von „W.E.”, dem Drama über die Liebesaffäre von König Edward VIII. mit der amerikanischen Femme fatale Wallis Simpson, heißt Madonna. Und da wird ein kurzer PR-Auftritt zum Erregungs-Ereignis. Erst wird der neueste Toyboy, ein HipHop-Tänzer, vorgeschickt, bevor die Popqueen mit dem Privatjet einfliegt und die Pressemeute ein paar verwackelte Bilder schießen darf.

Madonnas Berlinale-Mission: Die ersten „W.E.”-Schnipsel auf dem Film-Market vorzustellen. Okay, für ein bisschen Party im Hilton-Hotel-Keller ist dann auch noch Zeit, bevor Madonna wieder auf Käufersuche geht. Und das ist bei ihrer Sekunden-„Vorleistung” im Film-Metier dann doch nicht so einfach.

Viel wurde zuletzt über Sinn und Unsinn des 3D-Kinos diskutiert. Ausgerechnet ein deutscher Kunstfilmemacher bewies, dass die Technik künstlerische Flügel verleihen kann, wenn man sie richtig einzusetzen weiß. Wim Wenders gelingt mit „Pina”, der Dokumentation über die 2009 verstorbene Tanzikone Pina Bausch, eine bildmächtige Ode an ihre sinnlich-soghaften Choreografien. Erst die 3D-Kameras schaffen für den Zuschauer den Erlebnisraum, während die sehnigen Körper von Pinas Wuppertaler Tanztheaterensemble leidenschaftlich-stumme Geschichten erzählen. Und wenn Wenders den Einzelkönnern die Möglichkeit gibt, in der Schwebebahn oder im Industriegebiet ihre leichtfüßigen Bewegungskunststücke zu zeigen, scheint sich ganz Wuppertal plötzlich in Pinaland zu verwandeln.

Ein zweiter deutscher Kino-Exzentriker sucht die Kunst im Film: Werner Herzog mit „Cave of Forgotten Dreams”. Herzog wagte sich mit einem kleinen Team in die Chauvet-Höhlen in Südfrankreich und bannte als erster Filmemacher die ältesten bekannten Felsmalereien auf Filmmaterial. Herzog drehte mit Minikameras auf 3D, leider verträgt sich die verwackelte Ästhetik aber nicht mit der notwendigen Präzision und Schärfe der dritten Kino-Dimension: Kopfschmerzgefahr!

Zweidimensional steht die Berlinale unter dem Motto „Identitätssuche”. Trotz aller Bemühungen – wirklich fündig wurden die drei Wettbewerbsbeiträge dabei nicht. Am besten schnitt noch Yasemin Sanderelis Typenkomödie „Almanya – Willkommen in Deutschland” ab. Viel Applaus gab es für die Regisseurin und ihre spielfreudigen Darsteller, die mit ihrem leichten-seichten Antisarrazin-Gutmenschenmix einen potenziellen Kinohit am Multikulti-Haken haben. Der Film ist halb türkisch halb deutsch und es gibt ihn in beiden Sprachversionen. Im unbeschwert-temporeichen „Good Bye Lenin”-Stil gibt Sandereli Einblicke in Integrationsbemühungen türkischer Gastarbeiter von 1964 bis heute. Witzig, aber ohne viel Biss, werden Länderklischees gegeneinander ausgespielt. Nur die absurden Traumsequenzen haben es in sich. Denn wie erklärt man einem kleinen Moslem, dass das christliche Symbol ein an ein Kreuz genagelter Mann ist?

Ein Blick auf Afrika

Wie ans Kreuz genagelt muss sich auch Ulrich Köhler gefühlt haben, als ein Orkan an Buuhs durch die Pressevorführung von „Schlafkrankheit” wehte. Doch für den Vertreter der Berliner Film-Schule kam es noch schlimmer: „Ob er denn mit dem Titel auch eine bewusst einschläfernde Wirkung seines Films intendiert hätte?”, war eine der harmloseren Fragen in der Pressekonferenz. Doch warum diese Häme?

Sein komplexes, in zwei Erzählstränge untergliedertes, Drama verweigert sich einer gängigen Spannungs-Dramaturgie. Die Hauptfigur, ein Arzt, der ein Schlafkrankheitprojekt in Kamerun leitet, bleibt unnahbar. Köhlers Film verweigert einfache Urteile über den ewigen Problemlöwen Afrika. Doch bei aller Themenüberfülle (Entfremdung, Beziehungskrisen, Sinn und Unsinn von subventionierten Hilfsprojekten) schafft Köhler auch etwas, was einer „Weißen Massai” nie gelang: den westeuropäischen Klischee-Kolonialblick zu Gunsten einer komplexeren halbdokumentarischen Analyse endlich auszublenden.

Euphorie, Faszination, Amüsement, Häme – der deutsche Film deckte auf der Berlinale bisher alle Emotionen ab. Da fehlt nur noch ein Skandal. Aber wer braucht schon einen Lars von Trier, wenn er einen Uwe Boll haben kann.

Der Antichrist des deutschen Kinos durfte seinen „Auschwitz”-Film allerdings nicht im Wettbewerb präsentieren, was Uwe zu einer skurrilen PR-Zivilklage gegen Festivalleiter Dieter Kosslick veranlasste. Der Berlinalechef würde ihn grundlos ablehnen, behauptete der Trashfilmer in einer Privatvorführung seiner KZ-Studie abseits des Festivalbetriebs: Deswegen würde er auch seine 125 Euro Sichtungsgebühr zurückverlangen.

Vielleicht sollte Boll eher über einen Berufswechsel nachdenken, denn im Babylon-Kino bewies er bei seinen Hasstiraden unfreiwillig komisches Talent, als er krude Analogien zwischen Kosslick und Mubarak zog. Doch wenn Boll weiter so bollert, ist wohl er derjenige, der seine Inszenierungsgeschäfte aufgrund fehlender Unterstützung bald niederlegen muss.

Florian Koch

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