Wiesnhendl statt Pekingente

Der Flaneur schlendert gelassen über den Boulevard und staunt über die Fallen der Weltläufigkeit
Joseph von Westphalen |
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Der Flaneur schlendert gelassen über den Boulevard und staunt über die Fallen der Weltläufigkeit

Es ist ein großes und gelassenes Wort: „Boulevard“. Cineasten denken dabei an den Filmklassiker „Boulevard der Dämmerung“ („Sunset Boulevard“) und an entsprechend schaurigschöne Hollywooddramen, Frankreichfans an die breiten Boulevards von Paris, die so klangvolle und geschichtsträchtige Namen haben, dass jeder Bettler, der sie betritt, automatisch zum Edelmann wird. Liebhabern der unernsten Musik kriecht sogleich die süße Melodie von „Boulevard of Broken Dreams“ ins Ohr, ein Titel, den einst Nat King Cole unvergesslich hauchte und der heute von der Jazzsängerin Diana Krall würdig neuinterpretiert wird.

Verehrer von Bob Dylan, die gestern, als die neue CD des Meisters herauskam („Tempest“), nicht bis zum Öffnen der Läden warten konnten, das Album schon im 6 Uhr in der Früh aus den Internetshops herunterluden und seitdem nichts anderes tun, als das neue Werk zu hören, denken bei der krächzenden Stimme des alten Raben an einen Ohrwurm aus seinem vorigen Album, wo Dylan in bester Schrottlaune die „Boulevards of broken cars“ besingt („Beyond Here Lies Nothin'“).

An der kulturellen Bedeutung der Boulevards hält man sich gelegentlich fest als Mitarbeiter einer Boulevardzeitung, wie Sie, hochverehrter Leser und noch höher verehrte Leserin, gerade eine vor Augen haben. Manchmal sucht man Halt, manchmal hat man die Krise und fragt sich: Wer sind wir? Wir sind nicht unbedingt Papst, aber gut, immerhin wir sind Boulevard, und zwar täglich außer an Sonn- und Feiertagen.

Dumm nur, dass man die meisten Stellen, wo die Kästen mit den Zeitungen an der Straße stehen, nicht gerade als Boulevard bezeichnen kann. Und schon singt man statt der Boulevard-Serenade den rauen Gehsteig-Blues. Von wegen Paris und Hollywood und große Welt. Als Boulevardzeitung empfehlen wir Kleinkunstbühnen im näheren Umkreis und verraten, wo die Maß Bier günstig geschluckt werden kann.

Wie eng wir doch sind! Unserer großen, sozusagen vollakademisch studierten Schwester, der „Süddeutsche Zeitung“ können wir mit unserer Provinzialität nicht das Wasser aus dem Rinnstein reichen. Was aber mögen sich die als „anspruchsvoll“ angeredeten SZ-Leser gedacht haben, als sie am letzten Montag aufgefordert wurden, eine Lesereise zu buchen und ein unvergessliches Silvester in Peking zu feiern. Wie? Ist das nur abgefahren oder politisch richtig blöd? Dagegen ist mir ein banaler und lokaler AZ-Wiesnhendltipp richtig sympathisch.

 

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