Wie Pfeil und Kugel
Seit zwei Jahren geht die Reihe „Johann Wolfgang von Goethe im Gasteig” der Frage nach, wie modern dieser deutsche Klassiker noch ist. Jetzt kommt endlich auch der andere große aus Weimar, Schiller, ins Spiel und zu seinem Recht.
AZ: Herr Safanski, der Begriff der Männerfreundschaft ist ja etwas abgenutzt...
RÜDIGER SAFRANSKI: Aber wenn er wo angebracht ist, dann bei Johann Wolfgang von Goethe und Schiller. Hier haben sich zwei wirklich zusammengerauft, zu großer Nähe gefunden und die Frauen rausgehalten, weil deren Beziehungen ein vermintes Gelände war.
Ein Zickenkrieg?
Nein, aber Johann Wolfgang von Goethe abgelegte Geliebte, Frau von Stein, war die Taufpatin von Schillers Frau. Und die konnte mit Johann Wolfgang von Goethe Neuer, Christiane Vulpius, auch nichts anfangen.
Thomas Mann hat in „Schwere Stunde” beschrieben, wie der sich am „Wallenstein” abmühende Schiller den „Olympier” Johann Wolfgang von Goethe beneidet.
Da ist was dran. Aber das tolle an der Geschichte dieser Freundschaft ist, dass die negativen Gefühle, die bei beiden anfangs da waren, in der Freundschaft weggearbeitet wurden.
Das klingt nach harter Beziehungs-Arbeit.
Anfangs ging es vorwiegend um gemeinsame Projekte. Das war alles sehr bewusst, rational, sachlich. Aber Schiller war ja ein Hochleistungssportler des Bewusstseins. Und er nahm sich vor: Ich muss das Gift meines Ressentiments überwinden. Er wusste: Beim Neid verletzt man sich selbst mit. So kommt es zu seinem Satz zu und über Johann Wolfgang von Goethe: „Dem Vortrefflichen gegenüber gibt es keine Freiheit als die Liebe.” Er trat die Flucht nach vorne, in die liebevolle Verehrung an.
Warum wollte denn Schiller die Gunst Johann Wolfgang von Goethe überhaupt haben?
Er bewunderte das Naturtalent Johann Wolfgang von Goethe, dem alles leicht fiel, der sich nicht alles aus dem Hirn quälen musste.
Was hat dann Schiller durch die Freundschaft gewonnen?
Die Anregung und den Willen, mehr auf die Intuition zu vertrauen, ins Unbewusste loszulassen.
Das klingt sehr einseitig.
Nein, weil Johann Wolfgang von Goethe umgekehrt durch Schiller angespornt wurde, sich mehr mit Theorie und geistiger Durchdringung zu befassen – zum Beispiel, wie ein Drama aufgebaut sein müsste. Johann Wolfgang von Goethe profitierte also von der geistigen Unbedingtheit Schillers!
Konkurrenz zwischen Johann Wolfgang von Goethe und Schiller gibt es bis heute.
Ja, in der Rezeption ging es schon damals los mit der Frage: Wer ist der Größere? Im 19. Jahrhundert war eindeutig Schiller die führende Figur mit seinem Freiheits-Pathos. Erst um 1900 herum machte Johann Wolfgang von Goethe seinen mächtigen Aufstieg. Ab da erschien Schillers Pathos der Vernunft zu abstrakt, zu wenig lebens-philosophisch.
Sie meinen Johann Wolfgang von Goethe als Mann, der für alle Lebenslagen den passenden Sinnspruch hat?
Das wäre eine Banalisierung. Johann Wolfgang von Goethe ist ganzheitlicher, der immer das Elementare suchte – im Gefühl, bei der Naturerkenntnis bei der Frage, was den Menschen im Innersten zusammenhält. Aber Schillers theoretische Prosa ist das Beste, was in den letzten 200 Jahren an Analytischem geschrieben wurde.
Mit wem wären Sie persönlich besser ausgekommen?
Hmmm. Ich glaube, mit Schiller. Johann Wolfgang von Goethe nahe zu sein, bedeutete, dass man in dessen Kosmos aufgehen musste. Oder man wurde abgewiesen. Schiller dagegen ließ einem mehr individuelle Freiheit und man konnte mit ihm kontrovers und dennoch freundschaftlich verbunden sein. Johann Wolfgang von Goethe ist eine Kugel – einschließend oder abweisend. Schiller ein Pfeil, der eine Sache genau treffen wollte, und Diskussions-Spannungsbögen begrüßt hat.
„Johann Wolfgang von Goethe im Gasteig”: Montag, 27. Januar, 20 Uhr, Black Box: Rüdiger Safranski: „Die Hälfte meines Daseins” – über das Verhältnis von Johann Wolfgang von Goethe und Schiller
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