Wie es euch gefällt
Mit ungestyltem Lockenkopf und lässig geknotetem knatschgrünem Stoffschal über dem verwaschenen schwarzen T-Shirt sieht er deutlich weniger nach Twilight aus als auf den Presssefotos. Francesco Tristano, Tastenlöwe zwischen Techno und Klassik, ist aus der Nähe ein sympathischer junger Mann, der aufmerksam zuhört und präzise antwortet. Seine neue CD kombiniert Bach mit Cage, mitgearbeitet daran hat der Techno-und Dub-Produzent Moritz von Oswald. Eigentlich heißen Sie Schlimé. Wieso ist Ihnen Ihr Nachname abhanden gekommen? Das wurde einfach zu kompliziert. Im Techno-Bereich hieß ich immer schon Francesco Tristano. Wie kommt man als Luxemburger an diese Vornamen? Ganz einfach: Meine Großmutter ist Italienerin, meine Mutter Wagnerianerin. Dann kommen Sie aus einer musikalischen Familie? Eigentlich nicht. Eher aus einer Musikliebhaber-Familie. Zu Hause gab es ständig Musik in voller Lautstärke. Alle Arten von Musik – Vivaldi, Wagner und Pink Floyd, also ein weites stilistisches Spektrum. Das hat mich geprägt. Sie haben sehr früh angefangen mit Klavier und Komposition. Sind Sie ein Wunderkind? Wunderkind? Da bin ich im falschen Jahrhundert geboren. Im Gegenteil, ich finde, ich bin eher ein „craftsman”. Musik ist Handwerk. Sie haben eine klassische Pianistenausbildung. Wieso interessieren Sie sich für Techno? Die Juilliard School war wie ein gut beschützter Mikrokosmos. Aber ich war 16 und draußen war New York. Ich wollte auch sehen, was es da sonst noch für Szenen und Leute gibt. In den späten neunziger Jahren war es sehr spannend dort. Wie kamen Sie in Kontakt zu solchen Spitzenleuten aus der Techno-Szene wie Carl Craig und Moritz von Oswald? Es fing damit an, dass ich mit einem Freund zu einem DJ-Konzert von Craig gefahren bin. Ich kannte alle seine Alben auswendig. Nach dem Konzert bin ich zu ihm gegangen und habe ihm gesagt, wie toll ich das fand. Er wieder fand es toll, dass wir als klassische Pianisten seine Musik mochten. Zwei Jahre später habe ich ihn dann durch einen Freund „offiziell” getroffen, und dann ging es auch schon los mit Konzerten und Aufnahmen in Detroit. Klassik meets Techno – was bedeutet das für Ihre Arbeit? Ich habe immer schon improvisiert und meine eigene Musik gespielt. War die nun klassisch? Keine Ahnung. Ich weiß überhaupt nicht, was klassische Musik ist. Wenn ich etwas höre, was ich mag, dann will ich es erforschen. Elektronische Musik hat eine großen Einfluss darauf, wie ich spiele und komponiere. Dann ist das für Sie alles eins? Im Idealfall ja. Aber eigentlich ist es nicht so. Es gibt ja soziale Codes oder Konnotationen. Da möchte ich über die Grenzen gehen. Darum spiele ich gerne ich einem Konzertsaal eine Komposition aus dem Techno-Bereich und Bach im Club. Es ist es eine Art ständiger Herausforderung, die ich mir selbst stelle, aber auch dem Publikum. Wie sind die Publikums-Reaktionen? Das Publikum ist sehr klug, man kann sehr weit gehen. Ich habe schon die schönsten Überraschungen erlebt, zum mit Proto-Renaissance-Improvisationen im modalen Stil auf Techno-Festivals. Absolute Stille von diesen Rave-Kids. Vielleicht kommen die dann auch mal in ein „klassisches” Konzert. Glauben Sie wirklich, dass das funktioniert? Da hoffe ich auf den Whow-Effekt. Sie verfügen über das Material von Jahrhunderten – wer dient da wem, Sie dem Komponisten oder der Komponist Ihnen? Interpreten brauchen Kompositionen, aber ohne Interpreten sind die Komponisten auch verloren. Ich meine jetzt lebende Komponisten, denn den Toten ist es ja sowieso gleich, ob man sie spielt oder nicht. Sie kombinieren Bach auf dem Steinway mit elektronisch bearbeitetem Cage. Warum? Ganz allgemein ist es erst einmal ein klanglicher Vorschlag, eine Art Klanginstallation, kein ultimatives Statement. Was verbindet beide Komponisten? Zum Beispiel die rigorose rhythmische Struktur. Ausgerechnet Cages „In a Landscape”, das Ambiance-Stück der Platte, hat so eine Struktur. Auch bei Bach ist das immer der Fall, es ist ja Tanzmusik. Dann die spirituelle Tiefe ihrer Musik. Sie ist frei von aller Dekoration, eine Beschränkung auf das Wesentliche. Und ein Kontrast: Bach ist instrumental, perlig, Cage dagegen kontemplativ. Warum wirkt die CD fast wie eine DJ-Playlist? Die CD ist ein Studioprojekt mit Postproduktion. Das ist eben meine Realität 2011 und Ergebnis meiner Beschäftigung mit elektronischer Musik. Wie spielen Sie das im Konzert? Kommt darauf an, ob es ein akustisches Konzert ist oder eines mit Verstärkung. Bei Verstärkung mache ich das selbst mit dem Laptop und ein paar Mikros. Es gibt auch Clubdates mit dem Projekt. Ganz ohne geht es auch. Ich mache nie dasselbe, dazu hab ich keine Lust. Warum haben Sie auch eigene Stücke dazu geschrieben? Ich möchte mich nicht mit Bach oder Cage vergleichen. Sie sind aber auch keine autoritären Monster. Nehmen Sie das ganze als eine Bach-Cage-Ausstellung, deren Kurator ich bin. Ich suche Bilder, Belichtung und Rundgang aus. Meine Stücke sind da wie ein Kommentar zum Projekt, ganz am Schluss auch mit einem kleinen Augenzwinkern. Die CD "bachCage" erschien bei der Deutschen Grammophon. Konzert: Allerheiligenhofkirche, Montag, 18. April, 20 Uhr, Tel. 93 60 93
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