Wie erotisch ist die B 17?

Tabulos: Roland Reber und seine Crew drehen mit minimalem Aufwand und hoher Ästhetik. Dabei provozieren sie auch sexuell. Heute hat „Engel mit schmutzigen Flügeln“ in München Premiere
von  Abendzeitung

Tabulos: Roland Reber und seine Crew drehen mit minimalem Aufwand und hoher Ästhetik. Dabei provozieren sie auch sexuell. Heute hat „Engel mit schmutzigen Flügeln“ in München Premiere

Er unterteilt, sagt er, seine Zeit nach Motorrad-Tagen und Nicht-Motorrad-Tagen. Heute kommt Roland Reber schwer motorisiert vom kommunenartigen Bauernhof im Pfaffenwinkel zur Premiere von „Engel mit schmutzigen Flügeln“. Alle drei Säle der Museum Lichtspiele sind dafür gebucht. Die rothaarige Hauptdarstellerin Antje Nikola Mönning ist genauso da wie der blonde Engel Marina Anna Eich. „Verleih & Vertrieb, Produzentin, Public Relations, Schauspielerin“, steht auf der Visitenkarte.

„Wir sind Filmemacher“, sagt sie zur Begrüßung. In der Bavaria am Geiselgasteig hat die Gruppe ein Büro. Die wtp-Film zeigt dem Aufwands-Filmgeschäft, wie es auch geht: Vor zehn Jahren produzierte und drehte man „Das Zimmer“, als „Visitenkarte“ der Firma. „Man kann gerade mit effizienter Kleinstbesetzung Geschichten auf der Leinwand erzählen“, sagt Reber.

Vor drei Jahren kam der Durchbruch mit einem Halb-Porno: „24/7 – The Passion of Life“ wollte die Swinger-Szene aus der Schmuddelecke holen. Mit Reisebussen aus der Provinz kam die Sex-Szene zu den Dauervorstellungen nach München. Marina Anna Eich spielte damals die Hauptrolle einer jungen Frau auf einem sexuellen Erlösungstrip in die Tiefen der SM-Szene und Swinger-Clubs. „Wir versuchen, die Grenze zwischen Bürgerlichkeit und sogenannter Perversion aufzuheben: Beide sind nur zwei Seiten einer Medaille – und die sexuell ausschweifende ist dabei vielleicht sogar die unneurotischere, gesündere.“

Der Chef kurierte sich selbst auf dem Motorrad

Am Donnerstag startet das erotische Road-Movie „Engel mit schmutzigen Flügeln“ (in München in den Museum Lichtspielen). Ausgangspunkt war eine Wette mit dem Leiter des internationalen Filmfestivals SITGES in Spanien. Nachdem Reber vor anderthalb Jahren einen Schlaganfall erlitten hatte, rechnete niemand mit einem neuen Film. Roland Reber allerdings kurierte sich ohne ärztliche Hilfe selber mit Motorradfahren.

Gedreht wurde ab Mitte August innerhalb von sechs Wochen. Schnitt inklusive! Die Hauptdarstellerinnen und die Ehefrau von Reber, Mira Gittner, suchten ohne Einmischung von Reber im Schneideraum nach dem Rhythmus des Filmes. Weltpremiere war dann tatsächlich in Spanien.

Die Unabhängigkeit hat man sich mit dem Drehen von Werbefilmen erarbeitet. Filmförderung ist nichts für Reber: „Da gerät der freie Künstler in die Gefahr, Unabhängigkeit und Kontrolle über seine ästhetischen Mittel in die Hände anderer zu übergeben.“

Dieser wieder digital gedrehte Film provozierte schon im Vorfeld. Die „Bild“-Zeitung erregte sich professionell über Antje Nikola Mönning, die die Schwester Jenny in der ARD-Serie „Um Himmels Willen“ spielt. Bei Reber gibt sie das geile Flittchen. Wer Triebabfuhr sucht, ist allerdings bei einem handelsüblichen Porno besser aufgehoben.

„Engel mit schmutzigen Flügeln“ ist die Geschichte einer Frauen-Motorrad-Gang. Lucy, gespielt von Mönning, durchläuft ein Aufnahmeritual, das sich doch anders gestaltet als das Essen roher Leber in männerbündlerischen Vereinen.

„Ich kenn’ alles bis auf Punkt und Strich, nur eines nicht, das bin ich, ich, ich“, singt und tanzt die Gruppe schamanisch. Sie selbst sein soll Lucy, und so entdeckt sie jenseits ihrer Tagebuchlügen von Liebe den Sex, die Geilheit in sich. Sie tanzt im Stripschuppen, lässt sich von Mann zu Mann reichen, befriedigt sich mit einem Dildo und lügt den Männern die Liebe vor, um es mit ihnen zu treiben. Reber will mehr als das Recht auf Orgasmus, bei ihm steht die Moral zwischen dem Menschen und seinem eigenen Ich.

Der Anfang zeigt die Freiheit auf drei Motorrädern, gedreht auf der B 17 bei Landsberg, die damals nicht für den Verkehr freigegeben war. Auf dieser surreal freien Bahn fahren die drei Damen wie sexuelle Easy Rider. Am Ende wird Lucy allein mit sich in einer Montagegrube sein, bevor sie mit neuer Sicht auf ihr Ich in die Gruppe zurückkehrt.

Selten hakt der Rhythmus, und die Eleganz mancher Dialoge geht in der Bemühung um Ausdruck unter. Aber dem Regisseur und seinem Team gelingt gerade durch die Beschränkung der Mittel und der Zeit eine würdevolle, intensiv tabulose Dynamik.

Christian Jooß, adp

Premiere: Museum Lichtspiele, Lilienstraße 2, heute, 20 Uhr, Tel. 089 – 48 24 03

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