Wie eine Fata Morgana, so nah...

München feiert wieder einmal sein Kunstareal, in dem seit 13 Jahren Verbesserungen beschworen werden.
von  Christa Sigg
Hubertus Hamms temporäre Kunstinstallation auf der Südwiese vor der Alten Pinakothek.
Hubertus Hamms temporäre Kunstinstallation auf der Südwiese vor der Alten Pinakothek. © Hubertus Hamm

Vielleicht sorgt "V I ew" ja für den richtigen Durchblick. So hat der Fotokünstler Hubertus Hamm seine neue Installation genannt, die entweder die "View", also die "Sicht" auf die Alte Pinakothek oder das Ägyptische Museum freigibt - oder wie eine dreißig mal drei Meter große Wand wirkt und dicht macht. Je nach Position der Betrachter. Dieser "Vorhang" aus metallenen Waben ist ein schönes Symbol für die Situation im Kunstareal: Lösungen, die man glaubte zu sehen, sind wieder verschwunden.

AZ: Herr Redlich, seit 2010 sollen Orientierung und Aufenthaltsqualität im Kunstareal besser werden. Nach einigen Untersuchungen, Workshops, Gesprächen wird nun der Ideenwettbewerb "Open Kunstareal" ausgerufen. Sind Sie mit Ihrem Latein am Ende?

GUIDO REDLICH: Ich kann den ersten Eindruck nachvollziehen. Dass uns nichts mehr einfällt - mitnichten! Durch das Bürgergutachten oder die Freiflächen-Workshops stehen uns Informationen zur Verfügung, die nach wie vor absolut zielführend sind. Allerdings waren wir viele Jahre damit beschäftigt, organisatorische Voraussetzungen zu schaffen.

In Form einer Geschäftsstelle?

Ja, erst seit knapp zwei Jahren gibt es eine permanent besetzte Geschäftsstelle. Sie ist die Voraussetzung, um Projekte in größeren Dimensionen kontinuierlich planen und durchführen zu können. Wir kennen im Kunstareal die Anforderungen, doch wie soll das aussehen? Wir sind keine Designer.

Üblicherweise gibt es eine Ausschreibung.

Dann müssen Sie ein Budget definieren und jede Maßnahme im Areal dezidiert ausschreiben. Dadurch verstricken wir uns aber im Klein-Klein. Das heißt, mit einer Ausschreibung für Sitzmöbel, für Laternen, und so weiter. Wir, das heißt, Staat, Stadt und Stiftung, wollen aber groß denken. Deshalb der Ideenwettbewerb.

Wer soll die Ideen liefern?

Landschaftsarchitekten, Stadtplaner, Architekten, Designer und Künstler werden von internationalen Nominatoren ausgesucht und vorgeschlagen. Aus ihrer jeweiligen Expertise heraus sind sie eingeladen, Vorschläge zu machen. Wenn die Ideen vorliegen, entscheidet eine Fachjury zusammen mit Vertretern von Stadt und Staat - und zwei Bürgerinnen oder Bürgern, die sich für ihre Berufung bewerben können.

Wer sind denn die Nominatoren?

Der Prozess läuft gerade noch. So viel kann ich aber sagen: Es sind bewusst auch internationale Experten, um nicht von vornherein die üblichen Verdächtigen haben. Die können durchaus darunter sein, aber wir wollen erst einmal unser Denken erweitern.

Wie schaut es denn mit der Verkehrsplanung aus? Fakt sind ja bereits die Radwege auf den ehemaligen Rennstrecken Gabelsberger- und Theresienstraße.

Das ist ganz klar Sache der Stadt. Stadtbaurätin Elisabeth Merk ist eine große Anhängerin des Kunstareals, ich bin mir sicher, dass sinnvolle Lösungen gefunden werden.

Mit den sehr dezenten Info-Stelen hat sich die Orientierung im Kunstareal kein bisschen verbessert. Dagegen klingt die Idee eines Kunstboulevards vielversprechend.

Absolut! Dieser Boulevard würde am Alten Botanischen Garten starten, und ein paar Meter weiter blickt man mit dem Parkcafé im Rücken auf das Kunstareal. Die Katharina-von-Bora- und später die Arcisstraße sind relativ breit. Man könnte wie in Kopenhagen integrierte Verkehrskonzepte umsetzen, also ein Miteinander von Fußgängern, Fahrrädern und Autos. Gerne lebendig und nicht zwangsläufig symmetrisch.

Eine reine Fußgängerzone ist vom Tisch?

Die ist gar nicht erforderlich, um eine wirklich gute Aufenthaltsqualität zu schaffen. Und entlang dieses Boulevards haben Sie alle wichtigen Institutionen: erst das Haus der Kulturinstitute, dann am Königsplatz Antikensammlungen und Glyptothek, dahinter das Lenbachhaus und die Paläontologische Staatssammlung. Auf der rechten Seite kommen dann das NS-Dokuzentrum, die Musikhochschule, weiter vorne das Museum Ägyptischer Kunst, die HFF, die Pinakotheken. Wenn man das bis zur TU München durchzieht, wird die Orientierung plötzlich ganz einfach.

Ein paar Markierungen wären aber schon nötig.

Die einzelnen Häuser könnten sich bereits am Boulevard vorstellen - mit ihrem Programm, mit aktuellen Ausstellungen. Dann wäre es theoretisch möglich, schon beim Flanieren eine Auswahl zu treffen. Und das muss noch nicht einmal der Besuch einer Institution sein.

Wir passieren auf diesem Boulevard auch die Mensa der TU, die Sie schon einmal als Informationszentrum ins Spiel gebracht haben.

Daran hat sich nichts geändert. Es würde genügen, die Mensa zu entkernen, und dann könnte hier das Informations- oder Besucherzentrum des Kunstareals entstehen: mit Wechselausstellungsflächen, Workshop-Räumen und vielem mehr.

Es gibt einige Frei- oder freigewordene Flächen wie etwa der Bereich an der Türken-, Ecke Gabelsbergerstraße, für den Stephan Braunfels bis vor vier Jahren noch die Nutzungsrechte am Urheberrecht besaß. Was sollte dort entstehen?

Die Pinakothek der Moderne ist ja nicht vollendet, die Graphische Sammlung befindet sich nach wie vor in einem maroden Gebäude. Was zur Pinakothek der Moderne gehört, sollte schon auch dort untergebracht sein. Aber es bleiben noch Quadratmeter, die genauso für andere Häuser mitgedacht werden können. Denken Sie an die Kunstvermittlung. Die könnte dort oder auch im Besucherzentrum stattfinden.

Genauso werden die interdisziplinären Projekte mehr.

Da spielen auch die Hochschulen eine Rolle. Man darf außerdem an Atelierräume für Künstlerinnen und Künstler denken. Museen sind heute viel mehr als Sammlungen, es geht genauso um Begegnung, Austausch, um Lernen. Wenn wir jetzt zur Idee des Kunstareals zurückkehren, dann entsteht in der Kombination aus Kunst, Kultur und Wissenschaft ein Ort für den Diskurs von gesellschaftlichen Fragen. Was wir hier nicht brauchen, ist ein zweites Humboldt-Forum.

Sie meinen damit einen Baukörper, der mühsam mit Inhalt gefüllt werden muss.

Ja. Auch temporäre Komplexe wie seinerzeit die Schaustelle haben eine große Berechtigung. Man muss ausprobieren. Es muss eine gelungene Mischung aus Lang- und Kurzfristigem geben. Den Boulevard nach zwei Jahren schon wieder zur Disposition zu stellen, macht keinen Sinn. Was darauf stattfindet, muss aus dem Kontext, dem Bedarf, aus der Zeit und den finanziellen Möglichkeiten heraus gedacht werden. Und wenn Minister Blume von europäischer Strahlkraft spricht, dann sollten wir uns auch einen Boulevard gönnen, der diesem Anspruch gerecht wird.

Sie haben die Finanzen erwähnt.

Deshalb müssen wir herausfinden, was wirklich wichtig ist. Das muss man bündeln, dadurch kann man teilweise sogar Geld sparen. Deshalb ist dieser Ideenwettbewerb so wichtig. Bitte keine Tabus beim Denken! Der kleinste gemeinsame Nenner ist nicht billig und wird auf Dauer auch nicht funktionieren. Deshalb brauchen wir vor allem Mut!

Lassen Sie uns noch über ein paar konkrete Orte sprechen - zum Beispiel die Südwiese vor der Alten Pinakothek.

Dort wird gekickt und gespielt, das ist toll. Mir geht es aber auch um die Außengastronomie, und natürlich würde ich mich gerne hinsetzen. Sitzgelegenheiten wie am Viktualienmarkt könnte ich mir sehr gut vorstellen. Matti Suuronens Futuro-Haus vor der Pinakothek der Moderne ist zum heimlichen Zentrum geworden. Jetzt gibt es ein paar Liegestühle, das ist doch nicht teuer! Ich hätte auch große Sympathie für einen Kunst-Biergarten zwischen Museum Brandhorst, Türkentor und der Pinakothek der Moderne. Beim gemeinsamen Nutzen von Flächen brauchen wir Flexibilität. So, wie sich die Ausstellungen in den Häusern permanent ändern, so hätte ich das gerne auch draußen. Ich meine es im doppelten Sinne: Wir dürfen die Zukunft nicht verbauen.

Mehr Information zu Festprogramm und Wettbewerb auf www.kunstareal.de

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