Wie die Mafia Deutschland lieben lernte

Mafia-Expertin Petra Reski erklärt, warum Deutschland für die Mafia ein Paradies ist.
Volker Isfort |
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Die deutsche Journalistin, Autorin und Mafia-Expertin Petra Reski
Paul Schirnhofer Die deutsche Journalistin, Autorin und Mafia-Expertin Petra Reski

Mafia-Expertin Petra Reski erklärt, warum Deutschland für die Mafia ein Paradies ist.
Vor fast einem Vierteljahrhundert wurden in Italien Giovanni Falcone und Paolo Borsellino von der Mafia ermordet.
Die Münchner Volkshochschule nimmt dies zum Anlass, das Phänomen mit Vorträgen genauer zu beleuchten. Den Auftakt macht die deutsche, in Italien lebende Journalistin und Mafia-Expertin Petra Reski. Sie spricht über die Mafia in Deutschland.
 

Frau Reski, als am 15. August 2007 in Duisburg sechs Italiener erschossen wurden, sprach der ermittelnde Kommissar bei der ersten Pressekonferenz noch von einer möglichen Beziehungstat. Da muss es Sie doch innerlich zerrissen haben?

Ja, vor allem, weil es für mich weniger überraschend war als anfangs für die deutschen Ermittler. Die Mafia in Italien zu kritisieren, ist den Deutschen immer sehr leicht gefallen. Aber es sieht ganz anders aus, wenn es um die Mafia in Deutschland geht. Das wurde lange gar nicht wahrgenommen und verstanden. Und wenn man an die Berichterstattung über Italien und Griechenland denkt, dann wird ja auch eine gewisse Neigung der Deutschen erkennbar, sich anderen Nationen überlegen zu fühlen. Vielleicht erklärt das die erste Reaktion damals: So etwas kann bei uns gar nicht geschehen.

In Italien gab es auch einen Weckruf: Die Morde an Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, die bald 25 Jahre zurückliegen.

Natürlich, und die wahren Hintergründe dieser Taten wurden bis heute nicht lückenlos geklärt. Aber das waren Morde, die für Italien so bedeutend waren wie der Mord an Kennedy für Amerika. Da wurde zum ersten Mal vielen Italienern klar, dass die Mafia weitaus mehr ist als organisierte Kriminalität und ihre Verbindungen bis in die höchsten staatlichen Institutionen und politischen Ebenen reichen.

Seitdem gab es in Italien aber auch spektakuläre Ermittlungserfolge.

In Italien sagt man, die Gesetze werden gemacht, solange die Leichen noch warm sind. So war es damals auch. Aber jeder aufmerksame Zeitungsleser in Italien hat seitdem mitbekommen, dass die Antimafia-Gesetze, die zu den besten in der Welt gehören, Stück für Stück, den Wünschen der Mafia folgend, unter der Berlusconi-Regierung und den Nachfolgern wieder zurückgeschraubt wurden. Die Kronzeugenhaft ist praktisch nicht mehr existent, ebenso die Regelung für die Hochsicherheitshaft. Die Korruption ist so massiv in ganz Italien, dass sie mit den bestehenden Gesetzen kaum noch bekämpft werden kann.

Was aus deutscher Sicht immer wieder fasziniert, sind die Beschlagnahmungen von Villen und Luxusgütern im großen Stil durch die italienische Polizei. Da haben wir nichts Vergleichbares vorzuweisen.

Nein, das liegt daran, dass in Italien schon die alleinige Zugehörigkeit zur Mafia bestraft werden kann. Interessanterweise wird bei uns zwar die Zugehörigkeit zu einer islamistischen Terroristengruppe bestraft, nicht aber die Zugehörigkeit zu einer mafiösen Organisation. Es gibt zwar einen Paragrafen der kriminellen Vereinigung, der aber in keiner Weise an das heranreicht, was in Italien als Mafia definiert wird. Das hat zur Folge, dass viele Mafiosi, die keine Vorstrafen in Italien haben, völlig ungestört in Deutschland leben und operieren können. Das hat man ganz wunderbar gesehen im Zuge der Duisburger Ermittlungen: Die Güter der Mörder, die in Deutschland zugeschlagen haben, konnten nicht konfisziert werden.

Gab es mal Vorstöße, so etwas bei uns auch einzuführen?

Es gibt immer wieder italienische Staatsanwälte, die bei uns eingeladen werden, um über die Geldwäsche zu referieren. Man interessiert sich hier sehr dafür, aber dann passiert nichts.

Ihr Vortrag heißt „Wie die Mafia Deutschland lieben lernte“. Seit wann operiert sie denn im größeren Stil in Deutschland?

Seit mindestens vierzig Jahren. Das Geschäftsmodell ist sehr breit aufgestellt und reicht vom Drogen- und Waffenhandel über die Prostitution, das Baugewerbe und die Giftmüllbeseitigung. Ganz besonders wichtig ist die Geldwäsche. Der große „Aemilia“-Prozess in Bologna hat wieder deutlich gemacht, dass viele Mafiosi Konten in Deutschland hatten, weil das Geldwäschegesetz in Italien doch weitaus strikter ist. Die Mafiosi sind immer hin- und hergefahren, um sich frisches Geld aus Deutschland zu holen. Ich finde das enorm deprimierend für Deutschland. Vor allem, wenn man dann gleichzeitig von einer hohen moralischen Warte aus italienische Zustände kritisiert.

Sie meinen, wir sind so blind, weil wir – mit Ausnahme von Duisburg – sonst kaum sichtbare Gewalt der Mafia in Deutschland haben?

Natürlich. Die Mafia ist pragmatisch. Duisburg war ein Betriebsunfall, der sich mit Sicherheit auch nicht wiederholen wird. Selbst in Italien ist es ja so, dass unter dem Boss Bernardo Provenzano, was die sizilianische Cosa Nostra betrifft, eine ganz andere Taktik eingeschlagen wurde: wieder unsichtbar werden, auf spektakuläre Gewalttaten verzichten. Man geht auf viel subtilere Weise gegen Kritiker und Journalisten vor. Unser Presserecht macht es der Mafia sehr leicht, Journalisten zu verklagen, leichter noch als in Italien. Die Verdachtsberichterstattung ist durch das Persönlichkeitsrecht extrem stark eingeschränkt. Aber wenn ein Journalist nur über bereits erfolgte Urteile referieren darf, dann hat Journalismus keinen Sinn mehr. Und wenn man als Journalist persönlich verklagt wird, dann sieht man häufig auch ganz schnell die Solidarität der Redaktion schwinden. Zivilcourage wird häufig proklamiert, aber nur selten praktiziert.

Ist die Mafia stark im neuen Milliardenmarkt Migration und Flüchtlinge involviert?

Selbstverständlich. Alles, was ein gutes Geschäft ist, vor allem, wenn viele öffentliche Gelder im Spiel sind, interessiert die Mafia. Es gibt da eine genaue Arbeitsteilung. Die Schlepperei wird von Libyern, Somaliern, Eritreern gemacht, aber das große Geschäft ist ja die Unterbringung und Verpflegung. Da verdient die Mafia mit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein so großes Geschäft, das ja unter chaotischen Zuständen und ohne öffentliche Aufträge zustande gekommen ist, auch in Deutschland ohne die Mafia läuft.

Sie wohnen in Venedig. Sind Sie trotz Ihrer Recherchen immer noch empfänglich für die Schönheiten Italiens?

Auf jeden Fall. Insofern der Schönheit Venedigs nicht gerade die Kreuzfahrtschiffe und 30 Millionen Touristen im Wege stehen.

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