Wie der Kini seine geheimsten Lüste abzukühlen versuchte

Der Historiker Oliver Hilmes sah als erster Historiker den schriftlichen Nachlass von König Ludwig II. im Geheimen Hausarchiv der Wittelsbacher
Ist über die Märchenkönig nicht schon alles gesagt und geschrieben? Nein – denn frühere Ludwig-Biografen hatten keinen Zugang zum Hausarchiv der Wittelsbacher. Der Historiker Oliver Hilmes durfte für sein Buch erstmals den schriftlichen Nachlass des Königs einsehen.
AZ: Herr Hilmes, über Ludwig gibt es Hunderte von Publikationen. Warum haben Sie – zwei Jahre nach dem Ludwig-Jahr 2011 – noch was nachgelegt?
OLIVER HILMES: Ich habe nicht herumspekuliert sondern einen anderen Ansatz verfolgt: Man muss jemanden, über den man als Historiker schreibt, ernst nehmen. Und man muss seriöse Forschung betreiben. Die letzte umfangreiche wissenschaftliche Ludwig-Biografie erschien 1986 von Ludwig Hüttl. Und der hatte damals eben keinen Zugang zum Archiv der Wittelsbacher.
Hier trägt ein Archiv ja schon die Unzugänglichkeit im Namen: „Geheimes Hausarchiv“.
Ja, normalerweise gilt bei einem staatlichen Archiv: Wenn jemand ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht, erhält er Einsicht. Organisatorisch gehört das „Hausarchiv“ zwar zum Hauptstaatsarchiv, aber die Dokumente und Unterlagen gehören dem Wittelsbacher Ausgleichsfonds. Und da entscheidet der Hausherr, also Herzog Franz, wer was sehen darf.
Das ist eine zweifelhafte Konstruktion: Die Kosten trägt der bayerische Staat, aber Zutritt hat nur, wer die Gnade des Hauses Wittelsbach findet.
Für mich war klar: Ich schreibe eine Ludwig-Biografie nur dann, wenn ich den Nachlass des Königs einsehen darf. Es wurde schon zu lange und zu viel spekuliert.
Wie hat man Sie behandelt?
Man war zunächst etwas zurückhaltend aber grundsätzlich freundlich. Ich habe dann eine umfangreiche Bewerbung samt einiger Empfehlungsschreiben eingereicht...das hat geholfen und ich erhielt uneingeschränkten Zugang.
Ist das dann wie eine Schatzsuche?
Das Archiv selbst strahlt den linoleumartigen Charme der späten Wiederaufbaujahre aus. Ich habe aber immer alles bekommen, was ich sehen wollte.
Wieso sind Sie der Erste, der so weit vordrang?
Meine Bewerbung hat die Verantwortlichen wohl überzeugt. Darüber hinaus hat sich das Wittelsbacher Haus unter Herzog Franz auch geöffnet.
Sie lehnen jegliche Mordtheorie ab!
Weil es Schwachsinn ist! Es gibt keine Zeugen, keinen Mörder, kein Motiv..
Vielleicht bei dem Zweig der Wittelsbacher, die durch den Tod auf den Thron kamen...
Einen Mord hat man doch gar nicht gebraucht. Man besaß damals in den europäischen Dynastien viel Erfahrung mit dem Wegsperren. Ludwigs schwer schizophreniekranker Bruder Otto wurde etwa in Fürstenried interniert.
Ist die Sache also klar?
Als der tote König nachts an Land gezogen war, standen fast ein Dutzend Menschen herum – Gendarmerie, Lakaien, Ärzte. Der König wurde entkleidet, ein Arzt hat 15 Minuten lang Wiederbelebungsversuche gemacht! Wenn Ludwig erschossen worden wäre, hätte man das doch gesehen, da wäre beim Drücken auf den Brustkorb doch das Blut in Fontainen gespritzt.
Vielleicht war’s ja so?
Nein, keiner der Anwesenden hat irgendetwas Auffälliges an den Leichen bemerkt. Alle Verschwörungstheorien stützen sich auf hanebüchene Gerüchte, dass jemand jemanden kennt, der wiederum einen Cousin hat, dessen Großvater gehört hat... Das ist völliger Quatsch.
„Bismarcks Kugel“ ist dann ja ebenfalls abwegig, weil der mit Ludwig ja zufrieden war.
Ludwig hat bis zuletzt Bismarck um Hilfe gebeten und Bismarck wiederum hat – belegbar - bis zuletzt zum bayerischen König gehalten.
Es wird ja immer wieder gesagt, Ludwig sei schwärmerisch, aber nicht homosexuell gewesen.
Weil viele es immer noch nicht wahrhaben wollen: Sein ganzes sinnliches und romantisches Begehren war ausschließlich auf Männer gerichtet. Seine Günstlinge haben ständig gewechselt. Er hat zum Beispiel seinen „Vorreiter“ Jakob Brüller nach Florenz entsandt und dort drei Marmorbüsten von ihm anfertigen lassen. Ein unerhörter Vorgang. Diese Büsten wurden nach Ludwigs Tod vernichtet...
Wie hat denn die Bevölkerung auf die Homosexualität des Königs reagiert?
Man konnte ja nicht offen darüber sprechen, aus Befangenheit und auch, weil es ja noch „Majestätsbeleidigung“ gab. Aber es bürgerte sich ein, am Stammtisch von „Herrn Huber“ zu sprechen. Und unter diesem Pseudonym wurde das dann diskutiert, bis hinauf zu Ludwigs eigenen Sekretären. Ludwigs Reitknecht Joseph Völk wurde bereits 1865 in der Zeitschrift „Kladderadatsch“ als sein Liebhaber bezeichnet.
Aber die Homosexualität war für Ludwig doch auch innerlich eine moralische Katastrophe.
Ja, vor allem als katholisch erzogener Prinz. Und das Problem war viel größer als man bisher geglaubt hat. Es gibt im Wittelsbacher-Archiv eine Art „Krankenakte“. Ludwig glaubte, auch aufgrund wissenschaftlicher Lehren der Zeit, dass Homosexualität und Onanie zu Wahnsinn führen würden. Er erlebte den geistigen und körperlichen Verfall ja hautnah bei seinem Bruder Otto. Ludwigs Drogenkonsum – Morphium, Opium, Anti-Aphrodisiaka, Beruhigungsmittel – diente nicht, wie immer behauptet, vor allem der Bekämpfung von Zahnschmerzen, sondern sollte seine Lust, seine Homosexualität abtöten – bis hin zu einem „Psychrophor“, einem Glasröhrchen, das man tief in die Harnröhre einführt, um den Penis von innen abzukühlen. Grauenhaft.
Sie behaupten, dass nicht die Staatsschulden, sondern die Sexualität des Königs zur Absetzung geführt hat.
Die Schulden waren immens, aber wurden ja nach dem Tod des Königs alle abgetragen. Die Finanzen des Königs waren also sanierbar, das war nicht der Grund. Aber es gab einen Ansehensverlust des Königs, der war nicht mehr reparabel.
Aber er war doch im Volk sehr beliebt - bis heute.
Das galt aber vor allem für Oberbayern, wo die königlichen Hofhaltungen auch wichtige Wirtschaftsfaktoren darstellten. Aber die Stadtbevölkerung und die politisch diplomatischen Kreise waren mehr als befremdet, dass der König sich völlig gehen ließ, sich isolierte, erotische Eskapaden hatte und Bedienstete zum Teil blutig schlug. Das führte zur völligen Entfremdung, ja Entsetzten in den einflussreichen Kreisen.
Nach Ihren Forschungen hätte man ihn aber vor allem auch wegen eines geplanten Putsches absetzen müssen?
Ja. Ludwig hegte Staatsstreichpläne gegen das Kaiserreich. Er wollte Bayern auch gegen andere Länder eintauschen – im Gespräch waren etwa die kanarischen Inseln, Griechenland und sogar Afghanistan. Aber das war streng geheim, das haben die politisch Verantwortlichen der Zeit nicht gewusst.
Oliver Hilmes: „Ludwig II. – Der unzeitgemäße König“ (Siedler, 448 S., 24,99 Euro). Am 19. November stellt Oliver Hilmes das Buch im Gespräch mit Christoph Süß im Münchner Volkstheater