Wie der deutsche Terror begann
150 Minuten Überwältigung, Entsetzen, Anspannung, auch Spannung. „Der Baader Meinhof Komplex“ ist der Debattenfilm zur RAF-Geschichte. Eine Kritik.
150 Minuten Überwältigung, Entsetzen, Anspannung, auch Spannung. Dazu der Verlust des realen Zeitgefühls, wenn man im Kino in die hochdramatische deutsche Zeitgeschichte zwischen 1967 und 1977 förmlich gerissen wird. Danach gehen die Bilder weiter im Kopf, lange nach dem Schlussbild von der Hinrichtung des entführten Hanns Martin Schleyer am 19. Oktober 1977 durch die RAF. Warum soll sich das vor allem ein jüngeres Publikum antun?
Die Spirale der Gewalt
Heute gehören Terror-Attentate zum Alltag, nicht nur in den internationalen Kriegs- und Krisengebieten oder an sozialpolitischen Brennpunkten. Wir leben mit täglichen Horror-Nachrichten. In der Nachkriegsgeschichte der BRD entwickelte sich der Terror aus der Aufbruchsstimmung der 1968er-Jugend, die sich zu anfangs gewaltfreien Protesten gegen politische Missstände zusammenschloss. Wie jene Gewalt-Spirale entstand, die heute zur kollektiven Wahrnehmung gehört, zeigt eine Schlüsselszene zu Beginn:
Die Proteste am 2. Juni 1967 gegen den Staatsbesuch des persischen Schahs in Berlin eskalieren, als militante Schah-Anhänger und Polizei auf Demonstranten einprügeln. Der Zuschauer ist mitten drin im beängstigenden Geschehen. Ein cinéastischer Kunstgriff von Regisseur Uli Edel, der – auch in Folge angewandt – dafür sorgt, dass es kein Entkommen gibt aus dem Sog der Ereignisse. Am Ende der Szene liegt Student Benno Ohnesorg, erschossen durch einen Polizisten, auf dem Pflaster.
So begann die Geschichte der Roten Armee Fraktion (RAF), begründet von Andreas Baader (Moritz Bleibtreu), Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) und der „konkret“-Starkolumnistin Ulrike Meinhof (facettenreich: Martina Gedeck). Produzent Bernd Eichinger, der das Script zu „Der Baader Meinhof Komplex“ nach dem gleichnamigen Buch von Stefan Aust schrieb, und der Hollywood-erfahrene Regisseur Uli Edel haben ein gewaltiges Stück Kino gestemmt. Eine schmerzhafte Erinnerungsarbeit für diejenigen, die damalige nationale Ängste miterlebten, ein kinotaugliches Lehrstück für Jüngere.
Eine Parabel über das Abdriften in den Wahnsinn
Es ist der deutsche Debattenfilm des Jahres, und schon Wochen vor dem Kinostart gab es mehr oder weniger intellektuelle Statements, Betroffenheitserklärungen, Lob und Vernichtung. Der Film funktioniert, bei aller akribischen Rekonstruktion von Fakten, aber auch als Parabel, wie kluge, engagierte Menschen in terroristischen Wahnsinn abdriften können. Das bereiten Edel und Eichinger eben nicht als ehrgeizige, blutrünstige Geschichtsstunde(n) auf, sondern als atemloses Realitätskino mit dramaturgisch geschickt eingesetzten Doku-Aufnahmen von damals.
Es gibt, bis auf Momente mit einem aufgedrehten Baader, auch keine Revoluzzer-Romantik oder andere Mythologisierung. Die Akteure von einst spielt ein bis in Nebenrollen großartiges Ensemble. Und die Macher haben von Anfang an klargestellt, dass es in dem RAF-Porträt eben hauptsächlich um die Täter und nicht um die Opfer gehen würde (aus deren Perspektive die Kamera aber das Grauen der Terrorakte einfängt). Das RAF-Porträt ist auch ein Drama wider das Verdrängen.
Angie Dullinger
Kino: Arri, Cadillac, Cinema, City, Eldorado, Gloria, Mathäser, MaxX, Münchner Freiheit, Rex, Rio, Royal, Sendlinger Tor
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