Wer hat an der Uhr gedreht?
Kaum vergehen 17 Jahre, schon erscheint das neue Album vonGuns N’ Roses wirklich
Lachnummer, Meilenstein, oder doch nur ein sehr verspätetes Album? Am kommenden Samstag wissen Fans von Guns N’ Roses endlich mehr. Dann veröffentlicht Axl Rose (mit neuer Mannschaft) das Album „Chinese Democracy“, das mit angeblich 15 Millionen Euro Produktionskosten teuerste Werk der Musikgeschichte. Die ersten Aufnahmen begannen schließlich als Clinton noch auf dem Höhepunkt seiner Macht war.
Seitdem hat sich die Welt verändert, der Sound der Band – wie die erste Singleveröffentlichung beweist – allerdings weniger. 17 Jahre nach dem Studio-Doppelalbum „Use Your Illusion I/II“ sind die Erwartungen ohnehin ins Unermessliche gewachsen, Guns N’ Roses’ Manager Andy Gould wagte gar den Vergleich mit Michelangelo: der habe die Sixtinische Kapelle ja auch nicht in drei Monaten abgeschlossen. Große Kunst brauche viel Zeit.
Axl Rose, Vorsitzender des Irrsinns
1995 hatte sich die Krise zwischen Axl Rose und Gitarrist Slash schon vor den Aufnahmen zum neuen Studioalbum „Chinese Democracy“ (der Titel war damals schon fertig) so weit zugespitzt, dass Axl nach Ersatz suchte. In den folgenden zwei Jahren schmissen alle weiteren Mitglieder der Band das Handtuch, im kalifornischen Studio richteten sich Dutzende von Musikern mit unterschiedlicher Verweildauer ein, während Axl jede musikalische Idee aufnehmen und abmischen ließ. Die „London Times“ zitiert einen Studioarbeiter, der sich zwischen rund 1000 CD’s und DAT-Cassetten mit verschiedenen Versionen neuer Songs vorkam wie in der Kongressbibliothek. Der Vorsitzende des Irrsinns, Axl Rose, verlor aber selbst zunehmend den Durchblick oder das Interesse. Er ließ die gesamten Mannschaft täglich antreten und schaute – trotz wöchentlicher Fixkosten von 250000 Dollar – kaum noch vorbei, vergrub sich lieber in seiner Villa in Malibu und geriet unter den Einfluss eines Gurus namens Yoda. Die Jahre flossen dahin, immer bizarrere Geschichten drangen an die Außenwelt, obwohl alle Mitarbeiter vertraglich zum Schweigen verpflichtet waren. Ob Axls Hunde wirklich die Hühner des zeitweiligen Guitarristen Buckethead rissen (im Studio, wohlgemerkt)?
Am Samstag wird der PR-Gag Wirklichkeit
Axl Rose, der neben 100 Millionen verkaufter Rock-Alben auch für sich beanspruchen darf, das lächerlichste Dylan-Cover aller Zeiten gesungen zu haben („Knockin’ on Heaven’s Door“), wurde zunehmend zur Zielscheibe des Spotts, die Nachfrage nach dem neuen Album zum Running Gag. Der Getränkehersteller Dr. Pepper lehnte sich so weit aus dem Fenster, allen Amerikanern (außer Slash) eine Dose Erfrischung zu spendieren, falls das Album im Jahre 2008 noch erscheine. Am Samstag nun wird dieser PR-Gag per Internet-Voucher Wirklichkeit.
70 neu Songs will Rose angeblich in den eineinhalb Jahrzehnten eingespielt haben, 14 erscheinen auf dem neuen Album. Das Problem jedoch sind weniger die Güte der Nummern als die verronnene Zeit. Trifft der 46-jährige Axl Rose noch das Lebensgefühl einer Generation, die längst den Traum vom exzessiven Leben gegen die Sorgen der monatlichen Ratenzahlungen für das eigene Heim eingetauscht hat?
Volker Isfort
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