Wer das Sagen hat

Silas Breiding spielt die "gnädige Frau" in Genets "Die Zofen" im Volkstheater
von  Michael Stadler
Jakob Immervoll (links) und Lukas Darnstädt spielen die Zofen.
Jakob Immervoll (links) und Lukas Darnstädt spielen die Zofen. © Sebastian Arlt

Als Ensemblemitglied des Münchner Volkstheaters hat Silas Breiding über Jahre hinweg große Rollen großartig gespielt. Er war Romeo in "Romeo und Julia", Antonio in "Der Kaufmann von Venedig", Graf Mortimer in "Edward II" und zeigte in Sapir Hellers Inszenierung "Das hässliche Universum" sein musikalisches Talent am Klavier. In der letzten Spielzeit verschwand er dann für einige Zeit von der Bühne - und ist jetzt beim Saisonstart zurück: in Lucia Bihlers Inszenierung von Jean Genets "Die Zofen."

AZ: Herr Breiding, in der letzten Saison sollten Sie in Christian Stückls Adaption von Dostojewskis "Die Brüder Karamasow" mitspielen, sind aber einen Tag vor der Premiere ausgefallen. Was ist passiert?

SILAS BREIDING: Bei mir haben sich über ein Jahr hinweg Angstzustände auf der Bühne entwickelt, ich hatte Panikattacken. Während den Proben für "Die Brüder Karamasow" ging es sechs, sieben Wochen gut, aber in der Endprobenwoche hat sich die Angst bei mir gesteigert. Ich hatte plötzlich Textblackouts und befürchtete, dass diese Aussetzer sich gehäuft wiederholen könnten. Einen Tag vor der Karamasow-Premiere bin ich dann zu Intendant Christian Stückl und habe mit ihm gesprochen. Ich habe ihm gesagt, es geht nicht mehr, ich kann im Moment nicht mehr auf die Bühne.

Wie hat er reagiert?

Er war kurz still und meinte dann, wenn du das sagst, dann wird das auch so sein. Er hat wirklich toll reagiert, hat mir auch keinen Druck gemacht, sondern wollte von mir wissen, wie das mit den anderen Produktionen aussieht, ob ich da weiterspielen möchte oder ob ich generell eine Pause benötige. Ich sagte ihm, nein, ich will erstmal gar nichts mehr machen. Er hatte vollstes Verständnis dafür und sagte, okay, du kommst zurück, wann du willst. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Und die Karamasow-Premiere…

…spielte Janek Maudrich. Er schaffte sich die Rolle innerhalb einer Nacht drauf und hat die Premiere offenbar super gespielt. Ich selbst pausierte danach für vier Monate, holte mir professionelle Hilfe und erholte mich. Ich hatte einfach Selbstzweifel entwickelt, war stark verunsichert, was ja gerade beim Schauspielerberuf eklatant ist, weil man sich dabei ständig vor Leuten exponiert. Die Karamasow-Inszenierung war noch mal speziell, weil das Publikum auf allen vier Seiten um die Bühne saß, wie in einer Arena, so dass man den Blicken umso mehr ausgeliefert ist.

Nach den vier Monaten kamen Sie zurück, haben die Saison noch zu Ende gespielt, übernahmen sogar die Rolle in der Karamasow-Inszenierung. Die erste Vorstellung nach Ihrer Pause muss außergewöhnlich gewesen sein.

Ja, das war wirklich eine Herausforderung. Die Angst hat sich da interessanterweise noch mal gesteigert, ich hatte Angst vor der Angst: Schaffe ich das überhaupt noch, kommen diese Aussetzer wieder? Ich war sehr nervös - und dann lief alles wie am Schnürchen. Ich merkte bereits während der Vorstellung, dass ich richtig Lust aufs Spielen hatte, dass ich wieder da bin und mich auf die nächsten Auftritte freute. Der Text war da, ich war locker auf der Bühne und fragte mich: Was war eigentlich geschehen, wovor hatte ich eigentlich Angst gehabt?

Schön, dass Sie diese Krise überwunden haben.

Ja, ich bin auch sehr froh und glücklich. Ich freue mich über jede Stunde, jede Minute, die ich diesen Beruf ausüben darf. Ich liebe meinen Beruf.

Indem diese Geschichte öffentlich wird, entsteht hoffentlich nicht erneut Druck für Sie. Sondern Sie helfen, ein Tabuthema sichtbar zu machen.

Ja, warum sollte ich das jetzt verheimlichen? Soll ich sagen, alles war super, es ist nichts passiert? Ich fand auch interessant, wie viele Leute im letzten Jahr auf mich zukamen und zu mir sagten: Du, ich hatte so was Ähnliches auch schon mal. Ich hatte Panik und wusste nicht, wie ich damit umgehen soll. Oder: Ich hatte Burnout. Oder: Mich hat es zwar noch nicht so umgehauen wie dich, aber ich habe immer wieder starke Angst, auf die Bühne zu gehen, bei den Premieren, bei den Vorstellungen. Diese Angst ist in unserem Beruf weit verbreitet, wird aber kaum thematisiert.

Jetzt spielen Sie die "gnädige Frau" in "Die Zofen", ein Stück, in dem die Verhältnisse untereinander stark angstbesetzt sind und die Figuren viel am Spielen sind. Die beiden Zofen proben den Mord an ihrer Herrin.

Ja, die eine Zofe, Claire, spielt die gnädige Frau; die zweite Zofe, Solange, spielt wiederum Claire. Und wenn die gnädige Frau auftaucht, spielt die im Grunde ebenfalls eine Rolle. Ihr Gatte ist im Gefängnis gelandet und sie sagt, dass sie ihm überall folgen würde, bis hin nach Sibirien! Dabei gefällt sie sich in der Rolle der aufopferungsvollen Gattin, die für ihren Mann alles tun würde.

In München wurde das Stück zuletzt 2014 an den Kammerspielen aufgeführt, mit Brigitte Hobmeier und Annette Paulmann als Zofen und Wiebke Puls als gnädiger Frau. Die Inszenierung jetzt folgt Jean Genet Wunsch, dass die drei Frauenrollen von Männern gespielt werden. Wieso wollte er das?

Ich denke, dass dadurch die Ebenen zwischen Sein und Schein noch mehr verwischen sollen. Wir haben während der Vorbereitungen einen Text von Sartre gelesen, in dem Sartre davon spricht, wie sich das Männliche und das Weibliche im Stück vermischen. Es entstehen Hybridwesen, bei denen man sich fragen kann: Was ist eigentlich männlich, was weiblich? Ich hatte die Befürchtung, dass ich in meinem Spiel in Klischees von "Weiblichkeit" hineingeraten könnte - was zum Teil bewusst passiert ist. Gerade ich bediene in meinem Spiel weibliche Klischees, in meinen Bewegungen, meinem Gang.

Die gnädige Frau ist eine überkandidelte Diva.

Eine traurige Diva, würde ich sagen. Sie sorgt sich um ihren Gatten, hat Angst um ihn und vor der Einsamkeit. Diese Verletzlichkeit war uns und mir wichtig, sonst wird diese Figur einfach nur hohl.

Im Verhältnis zu den Zofen werden verstärkt Machtfragen verhandelt. Wer hat eigentlich das Sagen?

Zum einen ist die gnädige Frau extrem abhängig von ihren Zofen. Ohne die beiden wäre es ihr vermutlich todlangweilig, sie würde in Depressionen verfallen. Aber die Macht hat schon sie. Einmal meint Solange: "Sie liebt uns wie ihre Sessel… wie ihr Bidet!" Die gnädige Frau behandelt die beiden wie Dinge, wie Spielzeuge. Einmal schenkt sie ihnen ihre Kleider, fordert sie dann wieder zurück. Der Klassismus im Stück war Lucia Bihler besonders wichtig: dass die Zofen keine Chance haben, aus ihrer Schicht auszubrechen. Sie versuchen es zwar im Spiel, aber in der Realität mag es ihnen nicht gelingen.

Wobei der Mord, den sie immer wieder in Gedanken durchspielen, am Ende vielleicht Realität wird… Wer hat denn bei den Proben das Sagen: die Regie oder die Spielerinnen und Spieler auf der Bühne?

Das letzte Wort hat auf jeden Fall die Regie. Sie muss ja auch alles zusammenführen und trägt die größte Verantwortung. Dann variiert es, wie viel Regisseurinnen und Regisseure jeweils zulassen. Nach den Proben hatten wir jetzt, die drei Schauspieler als auch das gesamte Team, mit Lucia Bihler immer wieder "Check-In"s, bei denen wir uns sagen konnten, wie wir den Arbeitsprozess gerade empfinden, was wir gut finden, was nicht, was wir verändert haben wollten. Sie war total offen, interessierte sich wirklich für unsere Meinung, ging auf unsere Vorschläge ein. Das war richtig toll.

Volkstheater, Bühne 1, Premiere am 29. September, 19.30 Uhr (Restkarten evtl. an der Abendkasse), Karten unter Telefon 089 523 46 55

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