Wenn sich Staatsanwälte medial inszenieren

Sie legen vor offenen Mikrofonen das Intimleben einer Popsängerin offen, erheben Kinderporno-Vorwürfe gegen Politiker und geißeln die Korruption: Staatsanwälte haben ihre Pressearbeit grundlegend verändert - mit fragwürdigen Folgen.
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Sie legen vor offenen Mikrofonen das Intimleben einer Popsängerin offen, erheben Kinderporno-Vorwürfe gegen Politiker und geißeln die Korruption: Staatsanwälte haben ihre Pressearbeit grundlegend verändert - mit fragwürdigen Folgen.

Früher saßen sie unsichtbar in ihren Amtsstuben und galten als wahre Kommunikationsverhinderer. Doch die Staatsanwälte haben ihr Informationsverhalten grundlegend verändert. Wo immer mehr TV-Sender und Online-Dienste um die schnellste Nachricht und die größte Reichweite wetteifern, sehen viele Strafverfolger offenbar ein günstiges Umfeld für die Platzierung und Inszenierung der eigenen Tätigkeit - mit weitreichenden Folgen für die Beschuldigten, für die eigentlich die Unschuldsvermutung gelten soll.

In Fachkreisen wird dieser Trend schon seit längerem mit Sorge beobachtet. So beklagte der renommierte Strafverteidiger Eberhard Kempf 2006 auf dem Deutschen Anwaltstag, es gebe eine «unheilige Allianz zwischen den Medien und den Vertretern des Strafverfolgungsapparats». Der Fall einer Pop-Sängerin, die am 11. April medienwirksam vor einer Frankfurter Diskothek verhaftet und erst am Dienstag unter Auflagen aus der U-Haft entlassen wurde, hat das Thema nun in die breite Öffentlichkeit gebracht.

Details aus dem Intimleben

Die Staatsanwaltschaft Darmstadt teilte am 14. April in einer schriftlichen Presseerklärung mit, die Beschuldigte sei wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung festgenommen worden. Für Aufregung sorgten die nachfolgenden Sätze, mit denen die Darmstädter Ermittler mutmaßliche Details aus dem Intimleben einer Popsängerin ausplauderten. Der Staatsanwalt Ger Neuber gab anschließend zahlreiche Interviews, in denen er die Vorwürfe wiederholte. Fast alle Medien, ob TV-Sender, Nachrichtenagenturen oder Boulevardblätter, stürzten sich auf den Fall und zitierten den Staatsanwalt. Nach Ansicht des Bonner Medienrechtlers Gernot Lehr ist dadurch eine «massive Persönlichkeitsrechtsverletzung» und Vorverurteilung eingetreten.

«Outing vom Amt»

Im Stadium des bloßen Ermittlungsverfahrens dürften keine Details aus der Intimsphäre des Beschuldigten verbreitet werden, sagt Lehr. «Outing vom Amt», notierte der «Spiegel», und die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» sah den «Staatsanwalt in meinem Bett». Fragwürdig agierte auch die Staatsanwaltschaft Karlsruhe im Fall des SPD-Politikers Jörg Tauss, dem der Besitz von Kinderpornografie vorgeworfen wird. Die Behörde reagierte am 11. März in dem laufenden Ermittlungsverfahren auf Stellungnahmen, die Tauss gegenüber den Medien abgegeben hatte. «Es widerspricht dem bisherigen Ermittlungsergebnis, wenn Tauss zum wiederholten Mal den Besitz von kinderpornografischem Material mit seiner Abgeordnetentätigkeit rechtfertigt», hieß es in der Pressemitteilung der Behörde.

Der Medienrechtler Lehr hält dies für unzulässig. Ermittlungsbehörden seien nicht berechtigt, in einen «öffentlichen Rechtfertigungsdialog» über die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Ermittlungsmaßnahmen einzutreten. Die Staatsanwälte müssten sachlich vorgetragene Kritik an ihrem Verhalten hinnehmen, ohne hierauf öffentlich zu reagieren, schreibt Lehr in einem Aufsatz, der im Juli 2009 in der «Neuen Zeitschrift für Strafrecht» erscheinen wird. An die Öffentlichkeitsarbeit der Fahnder müssten zudem dieselben Maßstäbe angelegt werden wie an die Verdachtsberichterstattung der Medien.

Outing auch im Fall Emig

Doch nicht nur der Inhalt, auch der Zeitpunkt der Mitteilung zielt häufig auf den öffentlichen Effekt. Am Freitag teilte die Staatsanwaltschaft Frankfurt mit, dass nun auch gegen die Ehefrau des früheren HR-Sportchefs Jürgen Emig Anklage wegen Beihilfe zur Bestechlichkeit erhoben wurde. Das überraschte insofern, als die Behörde im Jahr 2007 angekündigt hatte, das abgetrennte Verfahren gegen Emigs Frau werde wohl mit einer Einstellung gegen Geldzahlung enden.

Jetzt berufen sich die Frankfurter Ermittler plötzlich auf drohende Verjährungsfristen, um zu erklären, warum sie nicht wenigstens das Ergebnis der Revisionsverhandlung abgewartet haben, die der verurteilte Emig beim Bundesgerichtshof angestrengt hat. Klar, dass die Vorwürfe gegen das Ehepaar wieder durch alle Medien gehen. Für die betroffene Familie ist das belastend. Viele Ermittler haben offenbar den früheren Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner vor Augen. Der Mann, der korrupte Manager aus Messe, Flughafen und Immobilienbranche vor Gericht brachte, war aufgrund seiner Eloquenz ein Medienliebling.

Kaum eine Talkshow ließ Schaupensteiner aus, daneben betätigte er sich als Buchautor und äußerte sich in vielen Podiumsdiskussionen. Seiner Karriere nützte das: 2007 wechselte er als Anti-Korruptionsbeauftragter zur Deutschen Bahn. Doch seit das Unternehmen wegen Datenschutzverstößen in der Kritik steht, ist Schaupensteiner nicht mehr so redselig. Er sei «wie von der Oberfläche verschluckt», schrieb kürzlich das «Handelsblatt». (Michael Ridder, epd)

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