Wenn Narrenfreiheit den Frohsinn ruiniert

Werden wir zu liberal? Warum unser Münchner Fasching schwächelt
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Werden wir zu liberal? Warum unser Münchner Fasching schwächelt

Nach 54 Jahren katholischem Frohsinn ist aus dem „Tanzenden Globus“ die Luft raus. Seit 1954 war er der „größte Faschingsball Münchens“ (Eigenwerbung). Jetzt wurde er mangels Nachfrage abgesagt. „Ist Fasching out?“, fragt die Veranstalter-Website vom Bund der katholischen Jugend.

Allensbach, das alemannische Forschungsinstitut vom Bodensee, hat gerade eine Studie zur „Fünften Jahreszeit“ vorgelegt: 60 Prozent der Bundesrepublikaner finden Karneval, Fasching oder Fastnacht noch zeitgemäß. Eine satte Mehrheit gegen Spaßverderber und Miesmacher? Dann aber folgt der statistische K.o.-Schlag: Nur noch 22 Prozent wollen aktiv beim Fasching dabei sein. Ein Durchschnittswert, so dass man annehmen kann, dass außerhalb der rheinischen Gaue die Zustimmungsrate zum jährlichen Fröhlichkeits-Gau noch geringer ist. Und in München hat der Fasching besonders schlechte Karten.

Obwohl er lange legendär war: „Auch uns, in Ehren sei’s gesagt / Hat einst der Karneval behagt / Besonders und zu allermeist / In einer Stadt, die München heißt“, schrieb Wilhelm Busch. Thomas Mann nennt im „Doktor Faustus“ das Faschingstreiben der 20er Jahre in der Isarstadt „lockere und verbrüdernde Wochen“. Und Oskar Maria Graf wurde verhaftet, weil er als Bauernschrank verkleidet kam – mit Türchen, das man öffnete und dann auf seinen nackten Arsch schaute, auf den ein Schnurrbart gemalt war.

Unsere größten Komiker waren grantig

Heute lacht man darüber wehmütig. Warum schwächelt der Münchner Fasching? Letztlich ist die modernistisch um sich greifende Liberalitas Bavariae schuld. Und die ist im großstädtischen München besonders ausgeprägt. Wiesn und Nockherberg geben dem Fasching den Rest. Zerlegt man den hiesigen Fasching in seine Bestandteile, wird schnell klar: Er hat keine Chance, auch wenn er sie alljährlich nutzt.

Bayerischer Frohsinn? Unsere größten Komiker waren grantig und oft Ritter der traurigen Gestalt, sei es bei „Orchesterproben“ oder beim „Kehraus“, bei dem einem das Lachen im Hals stecken bleibt, wie eine Weißwursthaut. Gibt es „München, wie es singt und lacht“ also nicht? Doch, aber paradoxerweise gerade nicht im Fasching, sondern post festum in der Fastenzeit, die zur Starkbierzeit wird und – trotz mönchischem Lachverbot – ausgerechnet mit Derblecken einher- und vor allem hochhergeht. Von je her war hier die starkbierige Säufernasenzeit narrischer als die Pappnasenzeit. Das ist unsere „Fünfte Jahreszeit“. Was gleich zur Wiesn überleitet, die als Konkurrenzveranstaltung ein Hauptschlag gegen den Münchner Fasching ist.

Lederhosen statt Kostümzwang? Für unseren hedonistischen Hang zur Travestie gilt spätestens mit dem urbanen Trachtenfieber seit 15 Jahren auf der Wiesn: Wir sind 16 Tage im Jahr ohnehin schon nonstop verkleidet. Oder wie anders kann man es nennen, wenn Schwabinger Nobelbürschchen in einer Bauerntracht vom Tegernsee bierselig zelten gehen?

Die Narrenkappe in Zeiten des Swinger-Clubs

Auch sonst hat die zunehmend lässige Alltags- und Berufs-Kleiderordnung zur Möglichkeit der Dauerverkleidung geführt. Wer wäre früher im Jogginganzug und Sneakern zum Semmelnholen gegangen oder hätte sich mit bis zum Knie hängenden Jeans-Schritt zum säuglingshaften Hosenscheißer stilisiert? Wer lässt sich in der Müllerstraße von einer Drag-Queen irritieren?

Unsere Liberalitas ist ein Todfeind des Faschings. Der soll ja mal eine Ventil-Funktion gehabt haben. Genau das macht ihn heute so schlaff. Denn wer muss im Zeitalter des Anything Goes und Swinger-Clubs noch anarchisch Dampf ablassen? Wo preußische oder französische Besatzer hausten, war das straffreie Aufbegehren in den wenigen närrischen Tagen notwendig. Aber uns Bayern liegt das Anarchische auch ohne Narrenfreiheit im Blut. Wie rief Lohnkutscher Krenkl dem Kronprinz Ludwig zu, als er die königliche Kutsche lässig überholte? „Wer ko, der ko!“

Geografisch entpuppt sich der Karneval – in allen regionalen Verkleidungsformen – als papsttreues Gebiet. Auch hier ergibt sich eine zunehmende Schwächung des Fasching-Standorts. Wie viel Prozent der barocken Stadt München sind noch Mitglieder der doch einzig selig machenden Konfession? 39 Prozent!

Sind also die Guddln, die vom erst 2006 wiederbelebten Gaudiwurm geworfen werden, nur noch olle Kamellen? Nein, wir Münchner werden uns gegen den eigenen Trend stellen und im Faschings-Endspurt auf dem Viktualienmarkt im Überdruck der Massen doch wieder die Sau raus lassen, wie damals der Oskar Maria Graf, der im wilden Treiben brüllte: „Mehr Erotik bitte! Hier herrscht Sexualdemokratie!“

Adrian Prechtel

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