Wenn Frechheit siegt
War sie Hochstaplerin, Betrügerin oder „Engel der Armen”? Nach Peer Rabens Film von 1972 (mit Ruth Drexel) und Martin Sperrs Theaterstück von 1977 greifen nun Xaver Schwarzenberger (Regie) und Ariela Bogenberger (Drehbuch) im TV-Film „Die Verführerin – Adele Spitzeder” die Geschichte der „Dachauer Bank” und ihrer Gründerin wieder auf. Birgit Minichmayr spielt die fasziniernde Bankrotteurin.
AZ: Frau Minichmayr, in einer Zeit, als Frauen noch nicht wählen durften, war ein weiblicher Bankier eine besonders emanzipierte Erscheinung. Wie spielt man diese Figur heute, wenn Frauen im Vorstand von Dax-Unternehmen sitzen?
BIRGIT MINICHMAYR: Das Selbstbewusstsein als Charakterzug bleibt bei einem Menschen immer das gleiche – egal, ob 2012 oder 1870. Aber die Freiheit, zum Beispiel mit dem Liebesleben offen umzugehen, das ist heute natürlich größer.
Die Spitzeder soll lesbisch gewesen sein. Warum drückt sich der Film um die Frage?
Ja, das hätte man stärker betonen können. Aber es gibt dafür keine Beweise, obwohl man es schon damals vermutet hat.
Im neuen Film bekommt Adele Spitzeder fast einen Heiligenschein.
Ja, weil sie die Parole ausgab: Vom Volk fürs Volk! Und sie erwarb sich ja einen irrsinnigen Respekt, weil sie den Gewinn der umliegenden Sparkassen halbiert hat mit ihren Zinsversprechungen.
Aber das war schlicht kriminell.
Ja, man hätte im Film das Verbrechen stärker herausstellen können. Viele sind bankrott gegangen, Bauern hatten ihre Höfe verkauft, um vom bei der Spitzeder-Bank angelegten Geld zu leben. Hunderte begingen Selbstmord nach der Pleite. Sie war eine Verführerin zu einem völlig unseriösen Schneeballsystem.
Und trotzdem konnte sie sich als Gutmensch präsentieren.
Sie war etwas zwischen Madoff und Robin Hood, aber ein vampiristischer mit einer modernen PR-Maschinerie: Sie hat die katholische Kirche mit Spenden gekauft, so dass sie von der Kanzel runter zu Heiligen hochgelobt wurde, sie hat eine Zeitung gekauft, wo Gutes über sie stehen musste, hat sich mit einem schwarzen, nonnen-, witwen-, priesterhaften Gewand mit Kreuz stilisiert und dann diese „Charity”-Show, wie man heute sagen würde, indem sie ein Armenhaus baute.
Man fragt sich ja immer, wie solche Leute nachts ruhig schlafen können.
Es ist die Kunst des Verdrängens, obwohl sie ahnen, dass sie Leichen im Keller haben. Aber die Spitzeder geht sogar noch weiter und diffamiert ihre eigenen Angestellten, um sich vor Gericht reinzuwaschen. Und das Faszinierende ist: Sie glaubt sich das alles selbst.
War sie naiv oder gerissen?
Sie hat nur dreieinhalb Jahre Zuchthaus bekommen, weil sie sich von Anfang an von Anwälten hat beraten lassen und allen ihren Kunden gesagt hat: „Ich kann keine Sicherheiten geben!” Und sie kommt aus dem Gefängnis und gründet wieder eine Bank. Sie ist damit eine Überzeugungstäterin.
Im Film lässt sogar König Ludwig II. bei der Spitzeder nach einem Kredit fragen.
Da haben sich die Richtigen getroffen, auch wenn das historisch nicht verbrieft ist. Aber man weiß ja, dass der König versucht hat, aus allen Quellen Geld für seine Schlossprojekte aufzutreiben.
Was ist letztlich so fasziniernd an dieser Frau?
Vor allem, mit welcher Energie und Verve sie rangegangen ist. Und sie hat in Saus und Braus gelebt, ohne dass ihr irgendein Groschen davon gehört hat. Ihre große innere Wunde war, dass sie als Künstlerin und Schauspielerin nicht anerkannt wurde. Aber sie hat Literatur aus dem Französischen übersetzt und trat am Ende auch als Sängerin unter dem Namen Adele Vio auf.
Wäre es denn auch für Sie eine Wunde, wenn es mit der Schauspielerei nicht funktioniert hätte?
Bei mir hat es früh geklappt, so dass ich wirkliche keinen Plan B hatte. Aber es ist ein Beruf, bei dem man so als Mensch mit allem zur Verfügung steht. Da kann das natürlich hart sein, wenn das scheitert.
Heute, 20.15 Uhr, ARD