Wenn einem die Welt erklärt wird
Finale der Biennale: Lin Wangs Kammeroper „Die Quelle“ im Carl-Orff-Saal
Die Geschichte wäre so schlecht nicht: Eine junge Künstlerin arbeitet notgedrungen als Sekretärin. Dieser Zwiespalt stürzt sie in eine Blockade. Aber sie verfällt nicht in Selbstmitleid, sondern wächst durch die fröhliche Auseinandersetzung mit ihrer Kindheit und dem Unbewussten an dieser Krise.
Aber Lin Wang wollte wie fast alle Komponisten nichts erzählen. Man nennt dergleichen Postdramatisches Theater, das wie eine Performance ganz aus der Situation der Aufführung heraus lebt. Tilman Broszat, der zum Leitungsteam der Biennale gehört, holt bei Spielart solch aufregende Aufführungen nach München. Man müsste also theoretisch wissen, wie die Avantgarden von Musik und Szene synergetisch ins Gespräch zu bringen wären, tut’s aber, warum auch immer, nicht.
Leider ist das koproduzierende Theater Bremen nicht die postdramatische Societas Raffaello Sanzio. Lin Wang dürstete bei „Die Quelle“ nach einem fantastischen Surrealismus, der auf der Bühne fast immer gewollt wirkt. Eine Figur stellte sich wie im weiland Epischen Theater mit „Ich bin der Metzger“ vor und hatte weiter sonst auch nicht viel zu den Ernährungsgewohnheiten der dargestellten Welt mitzuteilen. Da kann auch der stärkste Regisseur nicht helfen.
Weil sich die Symbolik des Geschehens kaum entschlüsselte, seine schülertheaterhafte Form aber auch keine Fantasien freisetzte, hinterließ die englisch gesungene Aufführung viel Ratlosigkeit. Ähnlich dürfte sich am Samstag der Yanomami-Schamane bei „Amazonas“ gefühlt haben, als ihm schlaue weiße Männer die Welt erklärten.
Die zappelige Musik von Lin Wang lebt von Luftgeräuschen der Bläser und heftigem Gezupfe. Die Sänger rappten im Sprechgesang, traditionelle chinesische Instrumente wie Mundorgel und Lauten wurden untraditionell eingesetzt. Der Dirigent Alexander Liebreich hielt das Münchener Kammerorchester und die vom Bühnenrand singende Einspringerin Nadine Lehner energisch zusammen.
Wahrscheinlich ist es falsch, von jungen Komponisten immer gleich Bahnbrechendes zu erwarten. Hätte aber ein Dramaturg seines Amtes gewaltet und Lin Wang zu mehr Deutlichkeit genötigt, wär’s nicht ganz so schwurbelig geworden.
Robert Braunmüller
Noch einmal heute, 20 Uhr, Carl-Orff-Saal, Gasteig
Relevant werden
Diese Biennale war ein Debakel. „Amazonas“ erzählte in vier Stunden Materialschlacht nur, was eh jeder wusste: Der Regenwald ist finster, weiße Männer böse und der Kapitalismus unser Unglück. Nach einem Auftritt von Bonos U2 hätte man hinterher wenigstens was spenden müssen: An den Türen der Reithalle wurden einem Sektgläser entgegengehalten. So abgehoben lebt die Neue Musik. Esoterisch wie seit Jahren gaben sich die übrigen Opern: Die Komponisten der von Festivalchef Peter Ruzicka proklamierten „Zweiten Moderne“ verbastelten wie üblich theaterfremde Texte der ersten Avantgarde. Wer irre Poesie wie Lautreamonts „Maldoror“ komponiert, sollte aber Verrückteres im Sinn haben wie geschmackvolle Orchesterlieder. Nichts wirkte, als sei es aus einem künstlerischen Müssen entstanden. Schlaffe Auftragskunst will kein Mensch sehen. Leider waren die spannenden Konzerte auch viel schlechter besucht, als es sonst bei Neuer Musik in München üblich ist. Woran liegt es? In Zeiten allgemeiner Öffnung schottet sich die Biennale als Insider-Veranstaltung immer mehr von der Gegenwart ab. Dieses städtische Festival muss endlich auch inhaltlich relevant werden. Als Glasperlenspiel allein ist es nicht erhaltenswert.
Robert Braunmüller
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