Wenn die Ohren klingeln
Gustav Mahlers monumentale „Symphonie der Tausend“ unter Christian Thielemann in der Philharmonie am Gasteig
Als der städtische Generalmusikdirektor vor einiger Zeit ehrlich Schwierigkeiten mit Mahler eingestand, verdarb er es sich vollends mit allen Gouvernanten des Fortschritts. Der Symphoniker an der Epochenschwelle zur Neuen Musik ist nun einmal der Hausheilige aller Modernisten, und wer ihn nicht mag, entlarvt sich vollends als finsterer Reaktionär.
Bei der Achten verdrehen allerdings auch härtere Mahler-Aficionados die Augen: Der Komponist des gebrochenen Tons war ein schlechter Jasager. Und so steht dieses hymnische Kolossalwerk nach dem mittelalterlichen Pfingsthymnus und Johann Wolfgang von Goethe „Faust“ in der Musikgeschichte wie ein geschweiftes Gründerzeitmöbel herum, das nur an besonderen Festtagen abgestaubt wird. Uraufgeführt vor genau 100 Jahren im Alten Messegelände auf der Schwanthaler Höhe von Vorläufern der Münchner Philharmoniker, gehört die „Symphonie der Tausend“ allerdings zum Traditionsbestand dieses Orchesters.
Ein Chefstück, aber kein chef d'oeuvre
Thielemann musste also ran, obwohl ihn sein Hang zum schweren Mischklang kaum für Mahler prädestiniert. Der instrumentale Abschnitt am Beginn des zweiten Teils glückte dennoch ausgezeichnet, weil der Dirigent in gelassenen Momenten stets am besten ist. Heikler verhielt es sich mit dem Rest. Zwar gelangen ihm die unmerklichen Temposchwankungen überzeugender als vielen Spezialisten. Vom Mittelblock aus gehört, erzeugten die Schärfen im Sopran des Wiener Singvereins und des Philharmonischen Chors im „Veni creator spiritus“ ein unangenehmes Dauerklingeln im Ohr, das mehr nervte, als durch Opulenz zu überwältigen.
Die acht Solisten, überwiegend Thielemanns Bayreuther „Ring“-Ensemble entnommen, rangen vergeblich mit der verteufelten Akustik. In der Gegend des Marienlobs gab es einen routinierten Durchhänger. Die Pointe am Beginn des „Chorus mysticus“ kam leider auch nicht heraus: Hier soll der Riesenapparat „wie ein Hauch“ klingen, ehe die Menschheit ohrenbetäubend durch das Ewigweibliche erlöst wird.
Die danach von Thielemann erzwungene Stille war eindrucksvoller als das ganze Getöse. Im Unterschied zu Schönbergs „Gurreliedern“ ist das Stück leider unrettbar, weil das Massenaufgebot hier leider nicht zur Differenzierung beiträgt. Was der Dirigent aus Mahler herausholt, wird man erst nach dem Adagio aus der Zehnten und den „Wunderhorn-Liedern“ im Mai wissen.
Robert Braunmüller