Wenn der Stoff mich kitzelt

Kafkas Sprache, in Körperlichkeit übersetzt: Der Gärtnerplatz–Ballettchef Hans Henning Paar spricht in der AZ über das Entstehen des Tanztheaters „Das Schloss” nach Kafka.
von  Robert Braunmüller

In einer Winternacht gelangt der Landvermesser K. in ein Dorf, das von mysteriösen Beamten beherrscht wird. Der Choreograf Hans Henning Paar hat Franz Kafkas Roman „Das Schloss” am Gärtnerplatz in Tanztheater verwandelt.

AZ: Herr Paar, haben Sie selber kafkaeske Situationen erlebt?
HANS HENNING PAAR: Erst vor vier Wochen hat das Kreisverwaltungsreferat von mir verlangt, ich möchte doch meinen Führerschein nachweisen, obwohl ich dort kurz zuvor ein Auto angemeldet hatte, was ohne dieses Dokument gar nicht geht. Die freundliche Beamtin konnte mir leider nicht sagen, wofür sie die Daten brauche. In dem Brief wurden mir aber polizeiliche Ermittlungen für den Fall der Zuwiderhandlung angedroht.

Lässt sich so etwas überhaupt tanzen?
Ich suche Stoffe, die mich kitzeln. Dass jemand gegen Windmühlen kämpft, ist immer aktuell. Franz Kafkas Bücher haben mich in meiner Jugend verstört, aber zugleich auch einen starken Eindruck hinterlassen. Die ausweglose Situation der Hauptfigur steigert sich, wenn zur Sprachlosigkeit im Tanz auch noch die Unmöglichkeit körperlicher Kommunikation dazukommt.

Wie übersetzt man Kafkas Sprache in Bewegung?
Entscheidend ist, welche Stimmung und Atmosphäre die Worte in mir auslösen. Das versuche ich in Körperlichkeit umzusetzen.

Wer ist K., die Hauptfigur der Geschichte?
Natürlich steckt in ihm eine Menge von Kafka selbst drin. Er ist mehr als ein unschuldiges Opfer, sondern auch Täter. Er behauptet, Landvermesser zu sein, obwohl das gar nicht stimmt und versucht sich, innerhalb des Systems hochzuarbeiten. „Das Schloss” ist eine Parabel über Menschlichkeit und Unmenschlichkeit.

Lässt sich die Unbestimmtheit von Kafkas Situationen umsetzen?
Ich finde es spannender, wenn nichts ganz eindeutig ist, als eine Geschichte einfach so abzufrühstücken. Der Zuschauer soll eigene Erfahrungen machen.

Welche Musik passt dazu?
Die Basis ist Dmitri Schostakowitschs „Chamber Symphony”, ein Arrangement des Streichquartetts Nr. 8. Sie wird unter Leitung von Liviu Petcu live im Graben gespielt und passt gut zur Atmosphäre, ebenso wie Musik von Alfred Schnittke und Krzytof Penderecki. Einen Gegenpol dazu bilden die „Three Pieces in old Style” von Henrik Gorecki, das ist eine sehr schöne und lyrische Musik. Dazu gibt es einige Geräuschcollagen.

Haben Sie der Versuchung widerstanden, Texte einzufügen?
Nicht ganz. Kafka wollte ich nicht nehmen. Dann bin ich im Ausländergesetz fündig geworden. Wenn man das Wort Ausländer durch „Fremder” ersetzt und „Bundesrepublik” durch „Gebiet des Schlosses”, kommt ein perfekt kafkaesker Text heraus.

Premiere heute, 26. Mai, 19.30 Uhr; weitere Vorstellungen am 28.Mai sowie am 2., 6. und 16. Juni. Karten gibt es unter Tel.21851960

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