Wenn das Erinnern lebensgefährlich wird
Gehirnblutung als Folge der Misshandlungen durch die chinesische Polizei: Der Künstler Ai Weiwei, dessen Team derzeit seine Schau im Haus der Kunst aufbaut, wurde in Großhadern operiert
Ai Weiwei ist in München wegen einer Gehirnblutung operiert worden. „Ich wäre beinahe gestorben“, sagte der chinesische Kunst-Aktivist (52) gestern der Deutschen Presse-Agentur. Der Eingriff erfolgte am Montagabend im Klinikum Großhadern. „Die Ärzte haben mich gerettet, mir geht es wieder gut.“ Der Bluterguss sei „direkte Folge“ von Schlägen gewesen, die ihm vor vier Wochen von Angehörigen der Polizei oder Staatssicherheit in der Provinz Sichuan zugefügt worden seien.
Ai, der 2007 an der Documenta 12 teilnahm und das Olympiastadion in Peking mitentwarf, ist ein profilierter Kritiker des kommunistischen Systems. Seit der Erdbebenkatastrophe in Sichuan im Mai 2008 bemüht er sich um Aufklärung darüber, wie viele Kinder wegen Pfusch beim Bau von Schulgebäuden starben. Obwohl die Regierung der Provinz Sichuan die Untersuchungen behinderte, konnte Ai Weiwei rund 5000 Namen von Opfern recherchieren und auf seinem Blog veröffentlichen.
Im August war er mit Aktivisten nach Chengdu gereist, um einen Prozess wegen „Subversion“ gegen den Bürgeranwalt Tan Zuoren zu verfolgen. In der Nacht kamen laut Ai rund 20 Sicherheitsleute ins Hotel, um sie vorübergehend festzunehmen und an der Prozessteilnahme zu hindern. Einer schlug Ai Weiwei hart gegen den Kopf und drohte, ihn umzubringen, wie der Künstler berichtete. Er habe seither unter Kopfschmerzen gelitten, berichtete er der „Süddeutschen Zeitung“. Beim Flug nach München verschlimmerten sich die Schmerzen so, dass Ai zum Arzt ging – der ihn umgehend ins Krankenhaus einwies. Dort wurde ein Bluterguss entdeckt und zwei Löcher in die Schädeldecke gebohrt, um den Druck zu reduzieren. „Die Ärzte sagten, ich hätte kurz vor dem Koma gestanden“, erklärte Ai, der noch einige Tage in der Klinik bleiben muss – aber eine für Montag geplante Pressekonferenz im Haus der Kunst nicht abgesagt hat.
Mit Blick auf seine Enthüllungen übte Ai Kritik an China: „Wenn 60 Jahre nach Gründung der Volksrepublik immer noch abgelehnt wird, Fehler selbst im Angesicht von Wahrheit oder Gerechtigkeit einzugestehen, dann ist es ein gefährliches Land.“ Mit der für die Fassade des Hauses der Kunst entworfenen Installation aus 9000 Kinderrucksäcken (Titel: „Remembering“) will er an die Erdbebenopfer erinnern. Am 11. Oktober wird die Schau „So sorry“ eröffnet, danach wird Ai Weiwei zur Frankfurter Buchmesse (14. bis 18. Oktober) reisen.
www.aiweiwei.blog.
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