Wenn das Charisma ungebremst herrscht

Schiller-Thriller: „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua“ im Staatsschauspiel
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Schiller-Thriller: „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua“ im Staatsschauspiel

Auftragskiller, zynische Sprüche, Machtintrigen, kämpfende Frauen: Schillers kraftmeiernder Verschwörungkrimi gäbe einen prächtigen Theater-Tarantino ab. Aber auch der Verzicht auf apfelsaftgefüllte Whiskyflaschen, Ketchup oder Ledersofa-Gefläze könnte an und für sich als Erholung wirken.

Im Residenztheater glänzten die gezückten Bühnendolche unbeschmutzt wie das ewige Dichterwort und der Komödianten goldner Ruhm. Felix Rechs eitel-undurchsichtiger Fiesko war ein Mime mit dem Willen zur Macht. Die leicht schwul gefärbten Handgemenge mit seinem schurkischen Spiegelbild, dem kongenialen Mohren Shenja Lacher, machten richtig Spaß.

Was vom Rest leider nicht behauptet werden kann. Hans-Joachim Rückhäberles Regie beschränkte sich auf die Organisation der Auftritte. Das ungebremste Virtuosenduo brachte Schillers Analyse der charismatischen Herrschaft aus dem Gleichgewicht. Fiesko dominierte alles, seine Gegner waren graue Mäuse wie Dirk Ossigs Westentaschendespot Giannettino Doria, dem dauernd die Nase lief. Wenn seine Kreatur von der Senatorenwahl sprach, dachte man an die Ernennung eines Klassensprechers.

Die gewaltigen alten Herren des Ensembles saßen im Zuschauerraum, während das Publikum über den uralten Dogen lachte. Der wackere Ex-Brandner Kaspar Fred Stillkrauth war keine Besetzung für einen 80-Jährigen, bei dessen Worten das Meer aufhorcht.

Wahrscheinlich sollte er blass wirken, aber dieser Effekt wird nie durch Blutarmut erreicht. Es bleibt ein Kreuz mit Schillers patzigem Pathos: Das aufbrausende Tremolo von Arnulf Schumachers Verrina wirkte ebenso lächerlich wie Leonores kalter Salon-Zickenkrieg mit der Imperiali (Lisa Wagner und Anna Riedl). In beiden Fällen blieben die Abgründe unaufgedeckt.

Der Beifall war so unverbindlich wie die ganze Aufführung. Am Ende stürzten weder Herzog noch Mantel ins Meer. Rückhäberle wählte das idealistische Finale mit Fieskos Machtverzicht. Da dies kaum aus seinem kolportagehaften Zufallsmord an Leonore hergeleitet war, kam die von Schiller schwach pointierte Variante so aufgesagt wie der übrige, an Schülertheater gemahnende fünfte Akt daher. Wer den „Fiesko“ mag, sollte zum Buch greifen, statt ihn sich hier rezitieren zu lassen.

Robert Braunmüller

Residenztheater, wieder am 20., 23., 28. und 31. 10. Karten: Tel. 2185 1940

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