Weltlust eines Querkopfs

Malerei aus der Gegenbewegung: Die Hypo-Kunsthalle in der Theatinerstraße und das Literaturhaus am Salvatorplatz zeigen den großen Anti- Künstler Jean Dubuffet
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Malerei aus der Gegenbewegung: Die Hypo-Kunsthalle in der Theatinerstraße und das Literaturhaus am Salvatorplatz zeigen den großen Anti- Künstler Jean Dubuffet

Kunst – dieses Wort sollte man nie aussprechen, es tötet das, was es bezeichnet.“ Um schlagkräftige Bonmots war der Maler, Bildhauer und Dichter Jean Dubuffet (1901 – 1985) nie verlegen. „Kunst beginnt, wo man anfängt, falsch zu zeichnen“, lautete ein weiteres Diktum, mit dem der Sohn eines Weinhändlers aus Le Havre seine Abscheu gängiger Konventionen formulierte.

Zwei Ausstellungen präsentieren jetzt den faszinierend-sperrigen Bild- und Wort-Künstler erstmals umfassend in München: Die Hypo-Kunsthalle zeigt eine Retrospektive mit über 150 Gemälden und Skulpturen, das Literaturhaus Künstlerbücher und den Briefwechsel mit Zeitgenossen und Freunden, darunter Artaud, Breton, Michaux. In Porträtzeichnungen verewigte Dubuffet die Dichter und Denker – doch nicht alle fanden sich in den Karikaturen („Michaux als Mumie“, „Artaud mit abstehenden Haaren“) wieder. Dubuffet nannte die Serie später „Viel schöner als sie glauben“.

Künstler und Weinhändler

Dubuffet, der erst im dritten Anlauf ab 1942 bei der Kunst blieb, und zuvor die Weinhandlung des Vaters führte, war ein kreativer Unruhegeist, für den Widerspruch die einzig mögliche Form der Interaktion war. Aus dieser Anti-Haltung heraus schuf er ein Oevre, dessen Kompromisslosigkeit seinesgleichen sucht – und die Kunst bis heute beeinflusst.

Seine pastose Malerei wirkt wie eine Urgewalt, Dubuffet bezeichnete den Schaffensprozess denn auch als „kochen, kneten, backen“: So entstanden archaische Wesen mit großen Köpfen, schematischen Gesichtszügen und komisch akzentuierten Geschlechtsteilen, die sich in der Skandal-Serie „Damenkörper“ bei längerem Hinsehen in Gesichter verwandeln. Und er adaptierte Techniken wie Frottage und Grattage, darum erinnert „Geheime Gesellschaften“ oder „Garten der Mitte“ nicht zuletzt an Ernst oder Klee. Doch Surrealismus reichte Dubuffet nicht: „Meine Bilder streben dem Irrealismus zu.“

Er prägte den Begriff "Art Brut"

Darüber hinaus interessierte er sich für die Bilder von Kindern und psychisch Kranken, begann sie zu sammeln und prägte den Begriff „Art Brut“. Den Ekel am Klischee einer „hohen Kunst“ brachte Dubuffet auch in der Wahl der Materialien und Motive zum Ausdruck: In die frühen Bilder matschte er Sand, Gips und Teer, fand in Graffitis und Pissoir-Schmierereien Inspiration. Und löste schon bei der ersten Schau in Paris 1944 einen Aufruhr aus.

Dass er ein Querkopf war, der es anderen nicht leichtmachte, zeigt das filmische „Autoportrait“ von 1962. Aber es offenbart ebenso wie die Bildtitel „Lebensfreude“ und „Weltlust“, dass Dubuffet dabei diebischen Spaß hatte. Und so wirkt auch das Spätwerk: Mit leuchtenden Farben und der Fülle fast kalligrafisch-abstrakter Formen ist es so energiegeladen, aber doch noch mal hinreißend anders als alles zuvor.

Roberta De Righi

Bis 30.8., Kunsthalle, täglich 10 bis 20 Uhr, Katalog (Hirmer) 25 Euro; Literaturhaus Di – Fr 11 – 19, Sa/So 10 bis 18 Uhr

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