Weil es einfach schöner klingt

Romantik im Originalklang: Sir Roger Norrington erklärt, was es mit dem Vibrato im Orchester auf sich hat und warum Musik des 19. Jahrhunderts mühelos ohne diesen Gefühls-Ersatz auskommt
von  Abendzeitung

Romantik im Originalklang: Sir Roger Norrington erklärt, was es mit dem Vibrato im Orchester auf sich hat und warum Musik des 19. Jahrhunderts mühelos ohne diesen Gefühls-Ersatz auskommt

Alle Münchner Orchester lieben bei Brahms und Beethoven einen dunkel-satten Klang. Wer das auf Dauer ein wenig eintönig findet, sollte sich den heutigen Abend freihalten: Da gastiert Sir Roger Norrington mit dem Stuttgarter Radio-Symphonieorchester im Gasteig. Der Brite leitet das Orchester seit 1998 und kultiviert mit den Musikern einen schlanken, historisch informierten Klang. Auf dem Programm stehen Beethovens Siebte und das Klavierkonzert Nr. 1 von Jonannes Brahms mit der Solistin Yuja Wang.

AZ: Herr Norrington, warum schneiden Sie Brahms den Bart ab?

ROGER NORRINGTON: Sie meinen das Vibrato. Wir lassen es weg, das ist unser Markenzeichen. Aber dies entspricht der Spielweise zu Lebzeiten von Brahms und klingt außerdem besser. Der langsame Satz des Klavierkonzerts in d-moll ist im reinen Klang einfach himmlisch!

Was ist Vibrato eigentlich genau?

Ein leichtes „ju-ju-ju“, ein Zittern im Ton, vor allem bei den Streichern. Die Geiger erzeugen es mit der linken Hand. Es ist der Versuch, den Ausdruck der menschlichen Stimme mit dem Instrument nachzuahmen und kam in den 1930er Jahren unter dem Einfluss des Jazz in die klassische Musik.

Warum sind Sie sicher, dass Brahms kein Vibrato wollte?

Weil es dafür klare Zeugnisse gibt. Arnold Rosé (1863 – 1945) war jahrzehntelang Konzertmeister der Wiener Philharmoniker. Er hat noch mit Brahms am Klavier Kammermusik gespielt. In seinen Platten verzichtet er auf Vibrato. Die Wiener Philharmoniker haben 1939 Mahlers Neunte unter Bruno Walter eingespielt, auch dort wird dieses Stilmittel sehr dosiert eingesetzt. Erst seit 50 Jahren ist es allgegenwärtig.

Wird Vibrato nicht in alten Violinschulen erwähnt?

Dort wird es aber nur Solisten als Verzierung erlaubt. Schon Leopold Mozart riet zum sparsamem Umgang, damit die Leute nicht denken, der Geiger leide an Parkinson.

Das war allerdings ein Jahrhundert vor Brahms.

Joseph Joachim, ein Freund von Brahms, hatte Vibrato-Spieler im Verdacht, dass sie das Instrument nicht richtig beherrschen. Er nannte Vibrato einen Ersatz für richtiges Gefühl. Als Anfang der 1920er Jahre ein Musiker mit viel Vibrato bei den Wiener Philharmonikern vorspielte, bat man ihn, dieses Gemecker auf der Violine zu unterlassen. Er schaffte es und bekam die Stelle.

Vermeiden Ihre Stuttgarter das Vibrato auch bei dramatischen Stellen, wie dem Beginn des ersten Brahms-Klavierkonzerts?

Gewiss. Da hat Brahms doch absichtlich viele Triller hingeschrieben. Damit ist alles gesagt. Vibrato ist hier unnötig.

Warum haben Sie bei Ihrem letzten Gastspiel in München Beethovens Fünfte mit acht Kontrabässen aufgeführt, obwohl das historisch falsch ist?

Auch diesmal spielen wir Beethovens Siebte in großer Besetzung. Das normale Orchester hatte zu Lebzeiten des Komponisten je acht erste und zweite Geigen, sechs Bratschen, vier Celli und zwei Kontrabässe. Bei bestimmten Gelegenheiten wie Wohltätigkeitskonzerten und Musikfesten in großen Sälen wurde die Besetzung verstärkt. Dabei wurden aber auch die Zahl der Holzbläser verdoppelt. So machen wir es auch.

Wie wichtig ist die Aufstellung des Orchesters?

Die zweiten Geigen müssen den ersten gegenüber sitzen, um miteinander musikalisch in Dialog treten zu können. Ähnlich ist das bei Trompeten und Hörnern, die auch räumlich getrennt werden müssen. Celli und Bässe gehören ins Zentrum – wie bei einer alten Stereoanlage, bei der Höhen und Tiefen stärker aufgedreht sind.

Robert Braunmüller

Gasteig, heute, 20 Uhr. Restkarten an der Abendkasse

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