Weihnachten mit Sisi

Tränenkrüglein und Königstiger: Die Weihnachtserlebnisse Sisis bilden für Alfons Schweiggertein Psychogramm der Kaiserin Elisabeth
Adrian Prechtel
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"Weihnachtsabend in der Hofburg in Wien” (von links): Valerie, Kaiser Franz Joseph, Kronprinz Rudolf, Prinz Leopold von Bayern, Gisela und - ganz rechts - Kaiserin Elisabeth. Die Familienidylle zeigt ein Holzstich nach Franz Kollarz "Über Land u. Meer", 45. Bd., Nr. 13, 1880.
akg-images / Sammlung Archiv für Kunst und Geschichte, Berlin "Weihnachtsabend in der Hofburg in Wien” (von links): Valerie, Kaiser Franz Joseph, Kronprinz Rudolf, Prinz Leopold von Bayern, Gisela und - ganz rechts - Kaiserin Elisabeth. Die Familienidylle zeigt ein Holzstich nach Franz Kollarz "Über Land u. Meer", 45. Bd., Nr. 13, 1880.

Dass man nach Streaming-, TV- und Kino-Welle der Kaiserin Elisabeth jetzt noch ein "Weihnachten mit Sisi"-Buch auf den Markt wirft, riecht nach Trittbrettfahren. Aber dessen ist der Münchner Autor Alfons Schweiggert unverdächtig. Denn der Historiker und Pädagoge beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten nicht nur mit Ludwig II., sondern auch mit dessen Cousine. Und Sisi-Kitsch wie der "Sissi"-Dreiteiler von Ernst Marischka mit Romy Schneider und Karl-Heinz Böhm ist ihm fremd, wie man seinen Büchern "Sisis Wohnwelten", "Die Märchen der Kaiserin Elisabeth", "Elisabeth und ihr Gott - Glaube und Aberglaube" anmerkt. Vom Romantik signalisierenden Titel "Weihnachten mit Sisi" darf man sich auch nicht täuschen lassen.


Elisabeth wurde am 24. Dezember 1837 geboren, feierte an Weihnachten also ein Doppelfest. Von "Christkindern" glaubt man, dass sie auf der Seite des Glücks geboren sind. Aber nur in der Kindheit und Jugend waren diese Feiern froh. Schweiggerts Recherchen bringen jetzt Sisis sechzig Weihnachtsfeiern mit den politischen, gesellschaftlichen und persönlichen Umständen zusammen.

Der Weihnachtsbaum wird im Botanischen Garten von Venedig gefällt

So gehen 1855 bei Sisis Kutsche am 14. Dezember die vier Pferde in Wien durch. Der Kutscher fliegt vom Bock und am Ende stürzen alle Pferde, die Deichsel bricht - und die schwangere Elisabeth steigt quasi unversehrt aus der zertrümmerten Kutsche. Zehn Tage später feiert sie ihren weihnachtlichen Geburtstag und ist wild entschlossen, ihre erst zehn Monate alte Tochter Sophie aus den Händen ihrer Schwiegermutter zu reißen. Und im Juli kommt ihre zweite Tochter zur Welt. Das Weihnachtsfest 1856 in Venedig fällt dann erst einmal frostig aus - wie überhaupt zunehmend weniger geburtstägliche Weihnachtsfeiern in der Hofburg verbracht werden. Franz Joseph und Sisi sind auf politischer Mission. Italien ist dabei, sich zu einigen, aber Venedig steht noch unter österreichischer Herrschaft. So wird das kaiserliche Paar von den Venezianern ignoriert. Ein Affront! Franz Joseph lässt schnell 70 verurteilte "Hochverräter", die sich für die Freiheit von Österreich eingesetzt hatten, frei. Die Venezianer führen das auf den guten Einfluss der jungen Kaiserin zurück - und tauen auf. Nur: Woher in der baumlosen Lagunenstadt einen Christbaum für die Wohnung am Markusplatz bekommen? Er wird im botanischen Garten gefällt!

Von der Liebe zum Hass auf den Christbaum

Schweiggert erzählt solche Anekdoten sachlich, aber man hört den sanft darunterliegenden Witz solcher Histörchen, die eng mit der Historie verbunden werden. "Die Weihnachtstage waren zunehmend eingebettet in die Zwänge des Hofzeremoniells und in wachsende familiäre Dissonanzen. Die bürgerlichen Bräuche in ihrer Familie waren für Sisi allmählich nur noch Fassade und Etikette. Ihre anfängliche Liebe zu Christbäumen wandelte sich in diesen Jahren regelrecht zum Hass auf den Christbaum", erzählt Schweiggert der AZ.


Unter anderem berichtet das Buch von ihrer "revolutionären Weihnacht", als sie nachdrücklich auf ihrem Recht zu einem selbstbestimmten Leben bestand. Das Ultimatum an Franz Joseph: Entweder ich darf mich frei bewegen und bekomme das alleinige Erziehungsrecht über meine Kinder oder ich gehe und lasse mich scheiden! Das war ein starkes Stück.

1860 feiert Sisi nur mit ein paar Hofdamen ohne die Kinder auf Madeira, der Kaiser hatte heimlich einen echten Christbaum mitgeschickt: Alles in allem war das ein teurer Ausflug von "umgerechnet 2,5 Millionen Euro", wie Schweiggert vorrechnet.

Witzig ist noch Sisis Weihnachten 1865 in München, wohin sie heimlich aufgebrochen war. Der genervte Kaiser bat König Ludwig, seine Cousine nicht am Bahnhof abzuholen, weil der Skandal, dass die Kaiserin schon wieder nicht zu Hause war, verborgen bleiben sollte. Ihr Versprechen, am 23. Dezember zurück nach Wien zu fahren, hielt Sisi nicht, sondern blieb bis zum Jahreswechsel in Possenhofen.

Für 1871 gab sie ihrem Mann Geschenkideen zur Auswahl: einen Königstiger oder ein "vollständig eingerichtetes Narrenhaus". Das war kein Witz, da Elisabeth von den nervlich zerrütteten Verhältnissen in ihrer Familie wusste, oft Nervenheilanstalten besuchte und sich für eine würdigere, moderne Behandlung der Kranken einsetzte. Auch kleinere Geschenke werden im Buch erwähnt, wie das antike Tränenkrüglein, das sie von ihrem Griechischlehrer 1891 bekam - natürlich "nur für Freudentränen", worauf sie antwortete, dass das Gefäß dann leider leer bleiben müsse. "Ich habe auch Heiteres im Buch. Aber oft genug war Elisabeth an den Weihnachtstagen schwermütig", erzählt Schweiggert: "In Folge war sie dann rastlos und auf der Flucht bei waghalsigen Fahrten übers Meer. Und bisweilen wurde Weihnachten von ihr förmlich ,totgeritten'. Sisis ganze Zerrissenheit zwischen Tradition, Protokoll und Erwartungshaltungen einerseits sowie Freiheitsdrang, Selbstverwirklichung, Ängsten und Verlusterlebnissen andererseits erzähle ich anhand der Fixpunkte Weihnachten und ihren gleichzeitigen Geburtstagen."

Das Buch ist also so etwas wie ein weihnachtliches Psychogramm der Kaiserin.

Alfons Schweiggert: "Weihnachten mit Sisi - Die Weihnachtserlebnisse der Kaiserin Elisabeth" (Battenberg/Gietl, 140 Seiten, 19,90 Euro)

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