Weibliche Doppelspitze für das Künstlerhaus: "Und wo ist jetzt die Prinzessin?"

München - Im Foyer leuchten die Lüster, und aus den oberen Etagen schwebt himmlischer A-cappella-Gesang. Toll inszeniert, denkt man sich, die neue Künstlerhaus-Leitung zieht schon alle Strippen. Dabei ist die Musik tatsächlich Zufall: Singer Pur nehmen im Festsaal eine neue Platte auf. Wenn Konzerte wieder möglich sind, wird das Vokalensemble am 17. April hier die "Post-Lockdown"-Saison eröffnen. "Für uns alle hier wäre das ein Glücksfall", sagt Birgit Gottschalk, die im Duett mit Jennifer Ruhland seit diesem Jahr die Geschicke des Kulturtempels am Lenbachplatz lenkt.
AZ: Frau Gottschalk, das Künstlerhaus steht zwar mitten in der Stadt - in der Wahrnehmung aber eher im Abseits. Und nun ist auch noch der Fasching flachgefallen.
BIRGIT GOTTSCHALK: Das war schon bitter. Der Fasching hat große Tradition am Haus, und der Gauklerball ist ein Höhepunkt des Jahres. Es gibt aber auch sonst viele Liebhaber unseres Hauses. Das bekommt man nur nicht immer mit, weil es auch viele Vereine sind, die sich hier treffen. Aber natürlich würden wir gerne mehr ins Blickfeld des Münchner Publikums rücken.

Was müsste sich ändern?
JENNIFER RUHLAND: Das Kulturangebot aus Klassik, Jazz oder literarischen Formaten ist schon sehr abwechslungsreich, den Tanz und das Kabarett müssten wir noch intensivieren. Und wie so viele alteingesessene Kulturinstitutionen wollen auch wir mehr junges Publikum anziehen.
GOTTSCHALK: Dass wir die Kreativwerkstatt Little Art für Kinder und Jugendliche im Haus haben, tut richtig gut. Die nennen ihre Räume übrigens "Utopia Space", das klingt nach einer bunten Zukunft, toll. Und manche der kleinen Künstler sieht man dann auch im Haupthaus im Konzert oder im Theater wieder.
RUHLAND: Große Aufmerksamkeit bekommt man vor allem mit bekannten Namen. Die hätten wir künftig gerne verstärkt im Programm. Aber das ist immer eine Frage der Finanzen.
Die Pandemie erschütterte das Künstlerhaus in seinen Fundamenten
Die sind durch Corona vermutlich angeschlagen.
GOTTSCHALK: Das Künstlerhaus war vorher schon ein finanzieller Balanceakt, die Pandemie hat uns nun in den Fundamenten erschüttert. Wir versuchen, Unterstützung zu bekommen, das ist auch gelungen, wenngleich mit Verzögerung. Aber Corona bedeutet: fünffache Arbeit und dreifacher Verlust. Uns gehen die Mieteinnahmen ab, das ist unser Standbein.
Könnte die Stiftung das nicht auffangen?
GOTTSCHALK: Wir sind eine Stiftung mit Schulden. Seit 20 Jahren bezahlen wir den Wiederaufbau des Künstlerhauses ab. Das ging bislang auch gut - mit einem überschaubaren Budget fürs Programm und Erneuerungen am Bau. Genauso können wir bei der Digitalisierung, die weit oben auf unserer Agenda steht, immer nur Schritt für Schritt vorgehen. Doch mit Corona haben wir jetzt ganz andere Vorzeichen.
Die Vorgängerin hinterließ ein gut gepflegtes Haus
Dafür schaut es hier ziemlich prächtig aus.
GOTTSCHALK: Da gibt es zum Teil auch köstliche Reaktionen. Wenn sich hin und wieder ein paar Kinder aus der Malwerkstatt verlaufen, fragen die kleinen Mädchen: "Und wo ist jetzt die Prinzessin?". Unsere Vorgängerin Maja Grassinger hat uns also ein gut gepflegtes Haus hinterlassen.
Und wie kann es weitergehen?
RUHLAND: Wir können nur existieren, wenn wir Räume vermieten. Für Seminare, Tagungen, Hochzeiten, Messen, an Firmen. Das Bavaria Filmfestival kann hier ebenso stattfinden wie ein privater Geburtstag im kleinen Kreis. Das alles kommt hoffentlich wieder in gute Bahnen - und damit auch unsere Kulturveranstaltungen. Um die 100 haben wir normal das Jahr über, das sind wir auch unserem Namen schuldig. Uns ist die Vielfalt wichtig, jeder Bereich hat sein Stammpublikum. Und ich hoffe natürlich auf noch mehr Klassik und Jazz.
Eigentlich wollte Ruhland Opernsängerin werden
Sie sind selbst ausgebildete Sängerin, Frau Ruhland.
RUHLAND: Ich wollte unbedingt Opernsängerin werden, das war mein absoluter Traum. Aber ich bekam Probleme mit der Stimme und - das ist fast schlimmer - hatte immer mehr Angst vor Auftritten. Dass ich neben dem Studium bei Münchenmusik jobben konnte, hat ein ganz neues, mindestens so interessantes Feld geöffnet. Über die Jahre ist das dann zum Beruf geworden. Ich habe also dank Andreas und Dea Schessl eine neue Leidenschaft entdeckt. Und wenn man weiß, wie Künstler ticken, hilft das schon sehr.
Frau Gottschalk, Ihre Verbindung zum Künstlerhaus ist eine besonders lange und intensive.
GOTTSCHALK: Peter und Maja Grassinger sind meine Eltern, wenn Sie darauf anspielen. Sie haben dieses Haus mit vielen Freunden aus der Taufe gehoben. Als Kinder sind wir die Marmortreppe runtergerutscht - das machen seither alle anderen Kinder nach. Mir ist das Haus wirklich von klein auf vertraut, ich bin zwischen Theater, Festen, Bildern und Marionetten große geworden. Mein Vater hat lange das Münchner Marionettentheater geleitet. Später bin ich durch den Gauklerball immer mehr in die Organisation hineingerutscht, und jetzt arbeite ich mit großer Begeisterung fürs Künstlerhaus. Es stellt sich ja auch die Frage: Wo will ich etwas für die Gesellschaft tun?
15 Angestellte gibt es mittlerweile
Das klingt nach Ehrenamt.
GOTTSCHALK: Nein. Es waren Freunde, die den Wiederaufbau des Hauses begleitet haben, alle anderen bekommen ihr Salär. Nach 30 Jahren haben wir mittlerweile 15 Angestellte. Wenn man die freien Mitarbeiter dazuzählt, sind wir sogar 30. Es gibt Tage, an denen viermal die Bestuhlung geändert werden muss. Hier ist also schon einiges los. Das heißt, im Normalfall.
RUHLAND: Wir organisieren das im kleinen Team alles selbst. Die Atmosphäre ist familiär. Das schätzen auch unsere Künstler, die uns zum Teil treu sind, obwohl sie bei anderen Veranstaltern vielleicht auch mal höhere Gagen bekommen. Und der Festsaal klingt fabelhaft, ich meine, in München hat er für Kammermusik die beste Akustik. Sie haben Singer Pur ja gehört.
Das Künstlerhaus soll museumstauglich werden
Für Ausstellungen ist das Haus aber kaum geeignet. Und dann hatten Sie noch den "falschen Miró" im Programm. Weshalb tun Sie sich das an?
RUHLAND: Richtig, wir müssen uns erst museumstauglich machen, Wände aufstellen, Böden legen. Das ist ein irrsinniger Aufwand. Aber gerade im August stoßen wir mit den Ausstellungen und dem Rahmenprogramm in eine echte Lücke.
GOTTSCHALK: Wirtschaftlich gesehen tut es dem Haus gut, wenn es im Sommer weiter genutzt wird. Es geht nicht darum, mit anderen Ausstellungen in Konkurrenz zu treten. Das könnten wir gar nicht. Aber inzwischen gibt es großen Zuspruch, und schon aufgrund der Lage zieht das Künstlerhaus auch viele Touristen an. Die Gunter-Sachs-Ausstellung kam letztes Jahr jedenfalls sehr gut an, so etwas geht dann mit einer lilablassblauen Null aus. Den fraglichen Miró hätten wir allerdings nicht gebraucht. Und obwohl er gar nicht erst gezeigt worden ist, hat er uns genau die Aufmerksamkeit beschert, die wir sonst gerne hätten.
Münchner Künstlerhaus am Lenbachplatz 8, Programm und Karten unter www.kuenstlerhaus-muc.de