Was wirklich drängt, ist nur das Testosteron
Welch hübscher Zufall: Peter Stein referierte im Gasteig über sein Verständnis von Johann Wolfgang von Goethe „Faust”, dessen zwei Teile er 2000 ungekürzt in 20 Stunden inszeniert hat. Gleichzeitig zeigte das Theaterhaus Jena im Volkstheater seinen „Faust” – der hätte Stein kaum gefallen. Aber beim Festival „Radikal jung” erwartet man nicht Werktreue, sondern frischen Zugriff. Und da sah die Inszenierung von Moritz Schönecker bei aller Postmodernität eher alt aus.
Das Theaterhaus Jena galt nach der Gründung 1991 als experimentell-anarchisches Bühnenwunder. 2011 übernahm Moritz Schönecker, Regie-Absolvent der Bayerischen Theaterakademie, die Leitung – mit seinen Brüdern Benjamin (Bühnenbildner) und Joachim (Musiker) sowie dem Dramaturgen Jonas Zipf. Zum Einstieg wählte das Team den „Urfaust”, angereichert mit zwei Szenen aus „Faust I” – und verblüfft mit einem ungebrochen ironiefreien Textumgang.
Pathetisch rezitiert Mathias Znidarec das faustische Leiden in der Studierstube, und obwohl ihn danach kein Wissensdrang, sondern nur noch Testosteron treibt, bleibt rätselhaft, was das anrührende Gretchen von Ella Gaiser an dem steifen Typen findet. Benjamin Mährlein gibt Mephisto als hyperaktiven, akrobatischen Komiker und schreit seinen Überdruck schrill heraus. Da setzt Natalie Hünig als schnippische Marthe ein trockenes Gegengewicht.
Manche Regie-Einfälle sind gut, manche nur nett, manche doof: Live-Videos machen aus vier Stühlen eine gefüllte Kirche, Mobiliar, Grünzeug und ausgestopfte Tieren werden herumgeschoben, Engel pusten Seifenblasen und Auerbachs dämlichen Koks-Keller könnte man glatt für eine Hexenküche halten. Ella Gaiser versöhnt am Schluss mit einer ergreifenden Kerkerszene.
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