Was Hänschen nicht hört, hört Hans nicht mehr?
In der kommenden Saison legt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks eine weitere Abo-Reihe am Samstag auf. Auch die Münchner Symphoniker vermehren die Zahl ihrer Konzerte im Gasteig. Trotzdem hält sich die Vorstellung, der Klassischen Musik würden die Leute davonlaufen. Mit dieser Ansicht kann man sogar in München Oberbürgermeister werden – obwohl auch seine Münchner Philharmoniker zwischen 1996 und 2006 ihre Abonnentenzahl von 11000 auf 19000 fantastisch gesteigert haben.
AZ: Herr Gehmacher, hören Sie das Totenglöcklein für die Klassik läuten?
STEPHAN GEHMACHER: Im Gegenteil. Ich kann nur für das Symphonieorchester des BR sprechen: Bei uns steigt die Nachfrage. 2004 hatten wir rund 5000 Abonnenten, in der kommenden Saison werden wird 10365 Abonnenten haben – das ist eine Verdopplung. Wir haben ohne viel Werbung 2000 Kunden für unser neues Samstags-Abo gewonnen. Wenn man am Puls der Zeit bleibt, kommen die Leute.
Aber Jüngere bleiben oft fern.
Das stört mich nicht, so lange das Publikum nachwächst. Auch ein Neu-Abonnent um die 50 ist ein guter Abonnent. Das heißt nicht, dass wir die jungen Leute aus dem Auge verlieren wollen. Aber die Idee, regelmäßig ein Konzert zu besuchen, spricht eher Menschen in gesetzteren Lebensverhältnissen an und nicht Familien mit zwei kleinen Kindern.
Und was bieten Sie Menschen, die feste Bindungen meiden?
Für sie geht ein Viertel der Karten in den freien Verkauf. Das tun wir absichtlich, um nicht vom Markt zu verschwinden. Allerdings wird es nach unserer Erfahrung schwieriger, einzelne Karten für Konzerte ohne große Namen zu verkaufen. Aber es ist kein Problem, Abos loszuwerden.
Woher entsteht dann die Legende vom überalterten Publikum?
In ältere Abo-Serien gehen natürlich oft ältere Menschen, weil es diese Reihen schon lange gibt und sie ihren Gewohnheiten treu bleiben. Aber diese Debatte ist absurd: Alte Menschen sind auch ein Teil der Gesellschaft. Das Durchschnittsalter des Konzertsbesuchers liegt seit Jahren gleichbleibend bei Ende 50. Nach meiner Erfahrung wächst das Publikum nach. Junge Familien haben nicht die Muße, sich für acht Konzerte pro Saison zu verpflichten.
Gibt es eine „Lost Generation” um die 40, die sich kaum für Klassik interessiert?
In den 1970er Jahren wurden hier Fehler gemacht. Denn wer in seiner Jugend kein Konzert erlebt hat, wird auch mit 50 kein Abo kaufen. Hier setzen unsere Jugendprojekte an. Auch wer ein Instrument gelernt hat, lässt sich wieder begeistern, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Musikschulen boomen – also habe ich keine Angst vor der Zukunft.
Als Kritiker sitzt man schon hin und wieder in schwach besuchten Orchester-Gastspielen privater Veranstalter.
Überall, wo es starke lokale Kräfte wie in München gibt, tun sich Gastorchester schwer. Das Angebot der Privaten ist ein zusätzliches, das sein Publikum auf dem Markt finden muss. Und es ist übrigens auch nur ein kommerzieller Erfolg, weil die gastierenden Orchester anderswo subventioniert werden.
Verzerren die vergleichsweise günstigen Kartenpreise bei Ihnen nicht den Markt?
Wir haben einen klaren Auftrag, eine musikalische Versorgung in München und über den Rundfunk in ganz Bayern anzubieten. Dafür bekommen wir vom Gebührenzahler gutes Geld, die Philharmoniker von der Stadt. Die Kartenpreise müssen deshalb für den Durchschnittsbürger erschwinglich bleiben. Im Unterschied zu Spanien oder Italien werden in Deutschland private Konzertveranstalter bewusst nicht öffentlich gefördert.
Die Autoren des umstrittenen Buchs „Der Kulturinfarkt” kritisieren, dass zu viel Gleiches subventioniert wird. Wenn in München innerhalb eines Monats dreimal Bruckners Vierte gespielt wird, ist man geneigt, ihnen recht zu geben.
Entscheidend ist doch immer, ob sich für etwas ein Publikum findet. Für verfehlt halte ich den Gedanken des Buchs, alles Etablierte schlecht und satt zu finden. Es gibt viele freie Kulturinitiativen, die gut mit Geld versorgt werden und in denen dennoch nichts Nachhaltiges entsteht – das Gegenteil kommt natürlich auch vor. Ein gut geführtes Stadttheater ist ein wichtiger Ort für die Kommunikation der Gesellschaft.
Für Interessenten an Abos klassischer Musik: Münchner Philharmoniker: www.mphil.de; Münchner Symphoniker: www.muenchner-symphoniker.de Symphonieorchester des BR: www.br.de