War der alte Bach doch ein Romantiker?
Prinzregententheater:Martin Stadtfeld spielte „Das wohltemperierte Klavier I“
Bei diesen 24 Präludien und Fugen ist alles erlaubt. Nur die innere Stimmigkeit entscheidet, wenn ein Pianist mit diesem zweistündigen Exerzitium vors geneigte Publikum tritt.
Martin Stadtfeld legte es anfangs darauf an, bei Connaisseuren bewährte Abwehrreflexe auszulösen: Mit viel Pedal verwandelte der allzu früh Gehypte das C-Dur-Präludium in die Großmutter der Mondscheinsonate. Aber nach der Überwindung anfänglicher Nervosität wirkte sein Ansatz ausgesprochen überlegt. Die Verwandlung von Bachs strenger Musik in einen Zyklus romantischer Charakterstücke passt viel besser zur Klang-Eigenart des modernen Klaviers als der nadelnde Versuch einer Cembalo-Imitation auf dem Steinway.
Stadtfeld spielt weder mechanisch noch motorisch. Er wirkt spontan und reproduziert auch nicht gewaltsam die jüngst erschienene Platte. Seine besondere Stärke sind leise, konzentriert gesteigerte Entwicklungen, mit denen er das Publikum in seinen Bann zieht. Allerdings neigt er dazu, in choralartigen Passagen die Oberstimme zu Lasten des Kontrapunkts zu betonen. Und es wirkt als Manier, wenn jedes Stück ausnahmslos am Ende abgebremst wird.
Im Moment trauen sich fast nur Pianisten und Geiger an einen romantischen Bach. Aber es gibt Hoffnung, dass die Ära des unterkühlten Historismus’ langsam zu Ende geht.
Robert Braunmüller
Stadtfelds Aufnahme des „Wohltemperierten Klaviers“ bei Sony
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