Wann flippt mal einer aus?
Der Ernst des Lebens als Lachnummer: Jan Weiler über sein neues Buch „Drachensaat“ und die Verfilmung von „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ mit Christian Ulmen in der Hauptrolle
Bernhard Schade will nicht mehr leben. Doch weil sein Selbstmordversuch bei den Bayreuther Festspielen irrtümlich für ein Attentat gehalten wird, findet er sich mit vier nicht weniger skurrilen Gestalten der Privatklinik Unruh wieder. Die Therapie in Jan Weilers neuer Roman „Drachensaat“ (Kindler, 400 Seiten, 19,90 Euro): Sie sollen die Gesellschaft ändern und sich selbst heilen.
AZ: Herr Weiler, welche Idee steckt hinter „Drachensaat“?
JAN WEILER: Ich habe mich auf Reisen im Zug oder im Flugzeug gefragt, warum alle so ruhig sind. Warum flippt nicht mal einer aus und sagt: Ich ertrage das alles nicht mehr. Die Ausgangsfrage ist: Was macht uns wahnsinnig und warum reagieren wir nicht angemessen darauf?
Ihre Protagonisten reagieren und werden von den Medien zu Lachnummern gemacht.
Letztendlich ist das doch immer so. Als Götz George bei „Wetten, dass“ einmal etwas Ernstes über seinen Film sagen wollte, ist er richtig ausgeflippt, weil Gottschalk das nicht hören wollte. Auch den Fünfen hört niemand zu. Letztendlich ist „Drachensaat“ ein irrsinnig trauriges Buch.
Befürchten Sie, dass der Leser nur Lustiges von Ihnen will?
Ich glaube nicht an diese Erwartungshaltung. Natürlich hätte ich auch ein drittes Antonio-Buch schreiben können. Ich will aber nicht nur diesen italo-deutschen Sehnsuchtsmarkt bedienen.
Ist eine der Figuren des Romans autobiografisch?
In gewissem Umfang alle. Bei Bernhard Schade ist es seine Unzulänglichkeit. Er trifft immer die falsche Entscheidung. Davor habe ich habe wahnsinnige Angst. Zweimal nicht richtig nachgedacht und zack geht’s dahin.
Und welche Parallelen gibt’s zur Luftesserin Rita?
Seit ich in München bin, wiege ich immer zu viel. Ich hatte immer schon die Vorstellung, wie großartig es wäre, völlig leistungslos, zum Beispiel durch das Essen von Luft, abzunehmen.
Stattdessen nehmen Sie beim Schreiben 100 Gramm pro Seite zu.
Das liegt an der mangelnden Bewegung. Aber jetzt hab’ ich gerade abgenommen. Lustigerweise hat auch Christian Ulmen abgenommen, als er sich für meine Rolle in „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ vorbereitet hat. Purer Zufall.
Ist es seltsam, von einem anderen gespielt zu werden?
Christian Ulmen war mein Wunschkandidat. Aber trotzdem ist es komisch. Jeder denkt sich die Rolle ja anders. Die Kostümbildner haben Christian Ulmen schlimme Sandalen angezogen. Solche Sandalen hatte ich nie an! Darauf lege ich großen Wert.
Sie haben das Drehbuch selbst geschrieben. War das Ihre Bedingung?
Ja. Ich habe es gemeinsam mit Daniel Speck geschrieben. Es ist schwer, sein eigenes Zeug zu bearbeiten, sich von Dingen trennen zu müssen.
Andere Autoren wollen ganz bewusst nicht das Drehbuch zu ihren Romanen schreiben, auch um sich zu lösen.
Das ist richtig. Aber hier geht es schließlich um meine Familie. Die Produzenten Clausen & Wöbcke haben von Anfang an gesagt: Wir machen nichts, was du nicht willst. Deswegen haben sie die Rechte gekriegt.
Könnten Sie sich vorstellen, mal nach Italien zu ziehen?
Nein, ich kann doch gar kein Italienisch
Das ließe sich ja ändern.
Das möchte ich aber nicht ändern. Ich brauche doch gerade solche Unzulänglichkeiten. Wäre ich der Checker, der sich überall sofort zurechtfindet, würde mir die Inspiration fehlen. Übrigens ist ein Grund, warum Christian Ulmen meine Rolle so gut spielt, dass er auch kein Wort Italienisch spricht. Er steht genau wie ich kopfschüttelnd und schulterzuckend zwischen diesen ganzen Menschen und denkt sich: Was mach’ ich hier.
Angelika Kahl
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