Wanderhure: Warum Millionen sie sehen wollen

Nach dem Erfolg des ersten Teils lässt SAT.1 die ehemalige Wanderhure Marie wieder umherziehen: Auf historische Akribie und Differenzierung hofft man allerdings vergebens
von  Eric Leimann/elf

Nach dem überwältigenden Erfolg des ersten Teils lässt SAT.1 die ehemalige Wanderhure Marie wieder umherziehen: Auf historische Akribie und Differenzierung hofft man allerdings vergebens.

Berlin - Am 6. Oktober 2010 rieb sich die deutsche Fernsehbranche verblüfft die Augen: Am Abend zuvor war SAT.1 mit dem im Vorfeld belächelten Mittelalter-Trashfilm „Die Wanderhure“ ein Coup gelungen. Fast zehn Millionen Zuschauer machten die Groschenroman-Verfilmung mit Alexandra Neldel zur erfolgreichsten Produktion des deutschen Privatfernsehens seit vielen Jahren. In der kurzweiligen Fortsetzung mit dem wunderbar blödsinnigen Titel „Die Rache der Wanderhure“ geht die ehemalige Prostituierte Marie erneut auf Wanderschaft.

Nachdem die Kaufmannstochter im ersten Teil verstoßen und später von König Sigismund rehabilitiert wurde, führt sie auf Burg Hohenstein erst ein erfülltes Familienleben. Doch ihr Ehemann fällt im Hussitenkrieg. Marie soll laut Gesetz binnen zehn Tagen verheiratet werden. Die Kastellanin wittert ein Komplott und begibt sich auf eine entbehrungsreiche Suche ins Kriegsgebiet: Eine – auch in Sachen Logik – irre Hatz durch mittelalterliche Wälder und Klöster kann beginnen.

„Die Rache der Wanderhure“ knüpft eng an den Erfolg des ersten Teils an: Wieder bietet die Produktion opulente Bilder und prächtige Kostüme. Erneut zeigt Marie beispiellose Tapferkeit im Kampf um Gerechtigkeit. Die Geschichte ist wieder simpel gestrickt, Gut und Böse klar erkennbar und das Showdown dramatisch. Maries Gegenspieler, allen voran der päpstliche Großinquisitor Janus Supertur, sehen so böse und zerrupft aus, dass Darth Vader dagegen als Film-Beau durchginge.

Wenigstens ist diesmal das Bemühen des Films spürbar, den geschichtlichen Hintergrund um den Glaubenskrieg der böhmischen Hussiten verständlich zu machen. Doch wie im ersten Teil bleibt das Epochenbild fragwürdig: Die Figur der Marie will einfach nicht zum mittelalterlichen Frauentypus passen. Selbstsicher, heldenhaft und unerschrocken wirkt diese Powerfrau wie eine Vorwegnahme emanzipatorischen Gedankenguts. Dass Marie ihren eigenen Mann im Schwertkampf besiegt und Verhandlungen mit den Hussiten führt, mag schon zu viel des Guten sein.

Doch dass die Protagonistin sich selbst in Fesseln mühelos gegen bewaffnete Angreifer durchsetzen kann, lässt die Figur ins Unglaubwürdige abgleiten. Die Vorstellung, dass Frauen im frühen 15. Jahrhundert das Schicksal in die eigene Hand nahmen, gehört eher in den Bereich der mit einigen Fakten ummantelten Pulp-Fiction.

Dennoch: Fans des ersten Films kommen bei diesem soliden Unterhaltungspaket voll auf ihre Kosten. Logik-Dogmatiker und Geschichts-Beckmesser durfte der Abenteuer-Trash dagegen sauer aufstoßen. Zu ihrer Beruhigung zeigt SAT.1 im Anschluss die Dokumentation „Käufliche Liebe – Wie Wanderhuren wirklich lebten“ über den Alltag von Prostituierte im 15. Jahrhundert.

Ob „Die Rache der Wanderhure“ den Quotenerfolg des Vorgängers tatsächlich erreicht, steht frühestens am Mittwochmorgen fest. Davon losgelöst hat der Sender jedoch angekündigt, die Filmreihe fortzuführen. Ein dritter Teil wird ab April gedreht. Über eine vierte Episode wird bereits verhandelt. Buchvorlagen gibt es sogar fünf. Das sind glänzende Aussichten für alle Mittelalter-, Wanderhuren- und Neldel-Fans.

 

SAT.1, Dienstag 20.15 Uhr

 

 

 

 

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