Walter Moers und seine "Insel der Tausend Leuchttürme"
Es beginnt alles sehr nachvollziehbar. Er ist reif für die Insel: unser Held, Hildegunst von Mythenmetz, der erfolgreiche Autor und Lindwurm möchte einfach mal seine Ruhe haben und verordnet sich ein paar Wochen Auszeit auf der Insel Eydernorn, die im Nordmeer des fiktiven Kontinents Zamonien liegt. Er will - hypochondrisch wie er nun mal ist - seine Leiden, besonders die Bücherstauballergie auskurieren. Doch daraus wird nichts. Der Lindwurm wird in ein Abenteuer verwickelt.
Einfach nur Erholung? Unmoralisch für
einen Intellektuellen
Dass es allerdings dazu noch kommt, kann der Leser zunächst nicht ahnen: Das erste Drittel von "Die Insel der Tausend Leuchttürme" besteht aus detailreichen Beschreibungen und Skizzen dessen, was Mythenmetz so erlebt - und das ist herzlich wenig bei der behäbigen Echse, die zum Luftkuren in dem netten aber letztlich unspannenden Örtchen Eydergard residiert.
Die einzigen Aktivitäten bei dieser Kur: hin und wieder strebermäßig ein Museum besuchen oder einen Leuchtturm. Das braucht Hildegunst einfach, um sich nicht zu Tode zu langweilen: "Ich bin keiner, der sich tatenlos der gesundheitlichen Rehabilitation hingibt. Sich einfach nur zu erholen, finde ich unmoralisch. Um also dieser Reise auch einen praktischen Nutzen abzugewinnen, habe ich mir unter anderem vorgenommen, während meines Aufenthaltes ausgiebig die Architektur jener legendären Bauwerke zu studieren, die diesem Eiland seinen etwas prahlerischen Beinamen verleihen: Die Insel der Tausend Leuchttürme."
Das klingt langweilig - und das ist es auch. Es gibt streckenweise nur sehr kleine Aufreger, wenn Hildegunst zum Beispiel beim Abendessen zum Vampirtintenfisch in Eigenblutsoße ein paar Gläser Dünenwein über den Durst trinkt oder bei einer seiner Sanatoriumsbehandlungen mit Meerwasser-Nasenspülung einen allergischen Niesanfall erleidet. Ein paar Hundert Seiten voller ausführlich beschreibenden, letztlich ereignislosen Zeilen? Sorgt nicht gerade für vorwärtsdrängendes Seitenblättern. Das liegt auch an der Form des Buches, seiner Briefromanstruktur, die monologisch ist, also letztlich mehr einem Tagebuch oder einem dramaturgisch ausgefeilteren Forschungsbericht gleicht.
Autor Walter Moers und Alter Ego von Mythenmetz lockert diese angezogene Handbremse auf den 650 Seiten kein einziges Mal. Sein zehnter Zamonien-Roman kann an die wilden und letztlich besten Frühwerke nicht anschließen, die voller überbordender Fantasie und Spannung steckten. "Die Insel der Tausend Leuchttürme" war von Moers-Fans ungeduldig erwartetet worden, die den schrägen Medienmenschen und Autoren Moers verehren, den aber seit Jahrzehnten niemand außerhalb seines Verlages mehr zu Gesicht bekommen hat und der auch nur noch über sein Mythenmetz-Alter-Ego und nur schriftlich über Zeitungsinterviews an die Öffentlichkeit kommuniziert.
Früher: für jeden was Freches (Adolf) oder Nettes (Blaubär)
Moers hat viele Jahre für jede Zielgruppe das passende Produkt kreiert: Wer es deftig und satirisch mochte, freute sich bei den "Kleinen Arschloch"- und "Adolf"-Comics über scharf am guten Geschmack entlang schraffende Unverschämtheiten. Die Blaubär-Figur wiederum aus der "Sendung mit der Maus" für die Kleinsten findet sich in dem ersten Zamonien-Roman "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär" wieder, mit dem er die Latte für deutsche Fantasyliteratur unerreicht hoch gelegt hat und es locker mit seinen Genre-Mitstreiterinen und Genossen Terry Pratchett und J. K. Rowling aufnimmt.
Aber es gibt etwas Außergewöhnliches bei Moers: seine Vorliebe für das Schräge, Unkommerzielle, Hintersinnige. Aber für diesen Hildegunst von Mythenmetz, den hypochondrischen Lindwurm, den kunstbeflissenen, aktivitätsscheuen Literaten, der so gar nichts Harry-Potter-haftes hat, ist die spannende Coming-of-Age-Welt schon Jahrhunderte her. Das alles macht Moers sperrig, und in Moers neuem Roman, einem Alterswerk, ist von der Überdrehtheit und der Schnelle von früher kaum etwas übrig. Moers lässt sich Zeit für Parodien auf den Kulturbetrieb, für philosophische Betrachtungen über das Künstlerdasein und darüber, wie traumatisch und kunstlähmend es ist, nach einem fulminanten Erstlingswerk diesen Erfolg nicht halten zu können.
Moers aber meißelt weiter und genauer an der Figur des Lindwurms, der auch in "Die Insel der Tausend Leuchttürme" wieder ein Held wider Willen wird, wenn das Abenteuer dann doch noch an Fahrt aufnimmt und sich zur Apokalypse auswächst.
Die aber hat es dann schon in sich. Es geht um nichts weniger als die Auslöschung der Bewohner Zamoniens, was nur noch durch das Kamikaze-Engagement der Leuchtturmwärter verhindert werden kann, die einem tödlich tobenden, lebendigen Wetterphänomen auf Eydernorn in einem dramatischen Showdown alles entgegensetzen. Eine klare Anspielung auf die drohende Klimakatastrophe.
Doch dieses Spektakel kann Hildegunst nur aus lebensrettender Distanz auf seinem sicheren Bootsplatz auf hoher See betrachten und schreibt darüber in seinen Briefen. Für den Lesenden verdoppelt sich dadurch die Distanz dazu. Der Platz in der ersten Zuschauerreihe als Leser, der bleibt dadurch bewusst unbesetzt. Aber diese Unnahbarkeit ist unbefriedigend. Die erste Reihe bei Walter Moers war früher immer gut besetzt und die gefährlichste - und damit die spannendste.
Walter Moers: "Die Insel der Tausend Leuchttürme" (Penguin, mit Zeichnungen des Autors. 656 Seiten, 42 Euro)
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