Waldschrat mit Zauberflöte

Nach ihrem letzten Tollwood-Konzert im Jahr 2006 kommen Jethro Tull zum 20. Jubiläum wieder in die Musik-Arena des Festivals. Die AZ traf ihn in London.
von  Abendzeitung

Nach ihrem letzten Tollwood-Konzert im Jahr 2006 kommen Jethro Tull zum 20. Jubiläum wieder in die Musik-Arena des Festivals. Die AZ traf ihn in London.

Bei Tollwood waren Jethro Tull zuletzt vor zwei Jahren zu Gast. Zum 20-jährigen Bestehen gastiert die Band um Mastermind Ian Anderson wieder bei dem Festival. „The 40 Years Anniversary Tour“ lautet das Motto der Band, die ihr 40. Jubiläum bereits 2007 feierte. 1967 gründete Anderson die Gruppe, die er bis heute entscheidend prägt. Die AZ traf ihn in London.

AZ: Herr Anderson, sind Sie eigentlich der Zampano dieser Formation, wie Ihnen häufig nachgesagt wird?

IAN ANDERSON: Ich weiß, dass mich alle für den großen Diktator halten, der sich seine Musiker als bezahlte Sklaven hält. Nun, so ist das wirklich nicht! Wahr ist, dass ich alle Stücke komponiere. Doch erst im homogenen Spiel mit den anderen wird daraus eine Jethro-Tull-Platte.

Sie haben sich mit der Flöte ein vergleichsweise leises und akustisches Instrument auserkoren, um damit in den lauten Rock-Ring zu steigen. Wie kam es dazu?

Es war 1967, ich machte in Blackpool einen Einkaufsbummel, sah in einem Musikalien-Geschäft eine Flöte im Schaufenster und habe sie spontan gekauft. Noch am selben Tag fing ich an zu üben wie ein Besessener! Ich hatte vorher nie eine Flöte in der Hand gehabt. Doch innerhalb von fünf Monaten fühlte ich mich kompetent genug, um dieses Instrument in unsere Band einzubringen. Nun, seitdem bin ich als der Waldschrat mit der Zauberflöte bekannt. Mit dieser Definition meines Charakters in der Öffentlichkeit habe ich überhaupt kein Problem.

Probleme haben Sie höchstens damit, wenn man Sie in den Medien immer wieder als reaktionären Traditionalisten abtut, der politisch für die Rechten schwärmt.

Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn, denn als Rock-Musiker bin ich doch den Klängen der ganzen Welt verpflichtet. Richtig ist: Zunächst mal fühle ich mich als Schotte, weil meine Eltern Schotten sind, dann als Brite und dann als Europäer. Das alles sind schließlich meine kulturellen Ursprünge. Doch zur Musik kam ich als Blues-Fan, und der Blues ist definitiv in Afrika zuhause. Auf der anderen Seite liebe ich keltische Klänge, ihre Tiefe und Melancholie. Ich bin also gefangen im Käfig aus weißer und schwarzer originärer Musik. Dazu kommt, dass wir hier in England längst in einer multi-kulturellen Gesellschaft leben. Diese Sache funktioniert prima, die eine Kultur befruchtet die andere. Warum zum Teufel sollte ich unter solch famosen Umständen ein Reaktionär sein?

Sehen Sie sich in Ihrer persönlichen Entwicklung als eher altmodischer Mensch?

Nein, auch damit kann ich nicht dienen! Im Gegenteil, ich bin ein Mann der permanenten Entwicklung. Mir ist klar, dass meine Stimme höchstens noch fünf oder zehn Jahre mitmacht, dann ist es mit meiner Karriere als Musiker definitiv zu Ende. Deshalb habe ich mir als Maler ein zweites Standbein geschaffen, damit ich auch im Alter kreativ tätig sein kann.

In den frühen 90er Jahren hatten Sie Probleme mit Ihrer Stimme – ist dieses Problem inzwischen behoben?

Um ehrlich zu sein, hielt ich meine Stimme nie für okay. Ich habe mich nie als Sänger gesehen, sondern diesen Job gemacht, weil bei uns kein anderer dafür parat stand. Ich bewältige also eine Arbeit, für die ich mich nicht prädestiniert fühle. 1993 schien es, als wäre meine Stimme endgültig hinüber. Ich sang und gab Interviews, das hat dieses Organ völlig ruiniert. Deshalb schone ich die Stimme inzwischen – singen und Interviews geben am selben Tag, das ist nicht mehr möglich.

Jemand, der in seiner Karriere schon so viel Erfolg gehabt hat – wie geht der mit Erfolg mittlerweile um?

Ich vergleiche das immer mit Sex, der mit 20 Jahren anders ist als der Sex, den man mit 50 hat – wenn auch nicht zu sehr! Sex ist immer eine starke emotionale Erfahrung, eine äußerst dramatische Angelegenheit. So ist es auch mit Bühnenauftritten oder wenn man sieht, dass eine neue Platte in die Charts eingestiegen ist – anders als früher, aber stets von einer gewissen Intensität. Und außerdem braucht jeder Mensch auf dieser Welt seinen Job, das ist wichtig fürs Selbstbewusstsein. Nun, mein Job ist der des Musikers. Der ist entscheidend für meine Identität. Ich habe eben nichts anderes gelernt.

Michael Fuchs-Gamböck

Tollwood (Musik-Arena), Sonntag, 19 Uhr, Karten 42/39.50 Euro, Tel. 0700-38385024

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