Wahnmochinger Alphafrau

Sie postulierte eine zwang- und bindungslose Liebe und blieb doch häufig Sklavin ihrer eigenen Gefühle. Gunna Wendt erzählt das Leben der Schwabinger Rebellin Franziska zu Reventlow.
von  Abendzeitung

Sie postulierte eine zwang- und bindungslose Liebe und blieb doch häufig Sklavin ihrer eigenen Gefühle. Gunna Wendt erzählt das Leben der Schwabinger Rebellin Franziska zu Reventlow.

Sie kämpfte für das Selbstbestimmungsrecht der Frau und arbeitete (nicht nur aus Geldnot) kurzzeitig als Prostituierte. Sie postulierte eine zwang- und bindungslose Liebe und blieb doch häufig Sklavin ihrer eigenen Gefühle. Franziska zu Reventlow belebte nicht nur die Schwabinger Bohème in der größten Blütezeit der Münchner Kultur, sie gilt auch ein Jahrhundert nach ihrem Wirken noch als herausragendes Beispiel für ein Leben gegen alle Konventionen. Auch, weil sie wesentlich mehr riskierte als alle „Alphamädchen“ und „Neuen Mädchen“ in diesem neofeministischen Bücherfrühling.

Die 1871 in Husum geborenne Fanny Gräfin zu Reventlow nahm sich, was sie wollte, zu einem Zeitpunkt, als das Frauenleben von der wilhelminischen Männergesellschaft in ein enges Korsett aus Demut und Gehorsam geschnürt worden war. Ein Dasein als „wesenloses Geschöpf“ aber kam für die Reventlow nicht in Frage.

Als sie 1893 für ein Malstudium nach München kam, hatte sie schon einen jahrelagen Kampf gegen das Elternhaus und die verschiedenen Erziehungseinrichtungen hinter sich. „Oh München! Diese göttliche Freiheit“, schrieb sie, doch der Traum vom wahren Leben erfüllte sich an der Isar nur bedingt. Eine erste Ehe scheiterte, schuldig gesprochen, finanziell am Ende und mit einem unehelichen Kind begann sie ihren Siegeszug als Muse der Schwabinger Bohème: eigenwillig, kunstbeseelt und ausgestattet mit einer besonderen Hingabefreude an die Männer, zumindest jene, die ihren Ansprüchen genügten. Sie übersetzte Literatur, schrieb Texte für den Simplicissimus, pflegte Freundschaft mit Rilke, Mühsam und selbst Stefan George, malte, verfasste Romane und gründete die erste Münchner Künstler-WG.

„Ihr kühnstes Werk war sicherlich ihr Leben“, resümiert Gunna Wendt zu Recht und konzentriert sich in ihrer lesenswerten Biografie auf den Kampf der Gräfin gegen das Scheitern. Reventlow versuchte, auch den schlimmsten Widrigkeiten einen ironischen Ton abzugewinnen – häufig ging das aber über ihre Kräfte. Dass einen die Lektüre des reventlowschen Lebenshungers traurig macht, hat allerdings auch einen anderen Grund. „Wahnmoching“ nannte die Gräfin Schwabing. Ob sie, die mit 47 Jahren verarmt im Tessin starb, ihre Kunsttraumstadt unter der heutigen Hülle der seelenlosen, hochpreisigen Dienstleistungsmetropole wiederfinden würde? Volker Isfort

Gunna Wendt stellt „Franziska zu Reventlow“ (Aufbau Verlag, 318 Seiten, 24.95 Euro) heute um 20.30 Uhr bei Lehmkuhl (Leopoldstraße 45) vor.

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