"Wahl total" mit Stefan Raab

Jetzt wissen wir das also auch noch: Die „werberelevante“ Zielgruppe des TV-Senders ProSieben, die jungen Menschen also, die samstagabends warum auch immer daheim Stefan Raabs „TV total“ glotzen, anstatt irgendwo feiern zu gehen, spricht sich mit 26,6 Prozent für die Union aus.
von  Abendzeitung

Jetzt wissen wir das also auch noch: Die „werberelevante“ Zielgruppe des TV-Senders ProSieben, die jungen Menschen also, die samstagabends warum auch immer daheim Stefan Raabs „TV total“ glotzen, anstatt irgendwo feiern zu gehen, spricht sich mit 26,6 Prozent für die Union aus.

Zweitstärkste Kraft wäre demnach die Linke mit 20,5 – noch vor der FDP mit 19,9, der Ex-Volkspartei SPD mit 17,7 und den Grünen mit 15,4 Prozent. Das ergab das über quälende drei Stunden hinausgezogene Bundestagswahl-Spezial der Raab-Show, eine bizarre Mixtur aus „Deutschland sucht den Superstar“, „Germany's Next Topmodel“, dem Tigerentenclub und einer Polit-Talkshow, über die man eigentlich nicht allzu viele Worte verlieren müsste, wenn der lange weilende Abend am Rande nicht doch ein paar interessante Erkenntnisse gebracht hätte.

1 SPD und Union scheinen massive Mobilisierungprobleme bei jüngeren Wählern zu haben – anders sind die desaströsen Raab-Ergebnisse in fast allen Bundesländern kaum zu erklären – wenn bei der „Wahl“ alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Außerdem: Wer der SPD geraten hat, ausgerechnet den alternden Parteichef Franz Müntefering zu Raab zu schicken, sollte sich grämen. Münte machte prompt den Fehler, ernsthaft Wahlkampf betreiben zu wollen und Linken-Propagandist Gysi frontal anzugehen. Worauf ihm TV-Kasper Raab das Wort abschnitt mit den Worten: „Das interessiert unsere Zielgruppe nicht.“

2 Die Jugendorganisationen der Parteien haben auch nicht mehr den Biss und die Frechheit wie früher. Lammfromm und putzig in die Farben ihrer Parteien gehüllt gaben sie sich als grenzenlos biedere Studio-Staffage her, johlten, kreischten, skandierten „KTG“, „Angie“ oder „Hey, das geht ab. Wir woll'n die Kanzlerschaft“ (die Jusos!!!). Fragen oder Wortmeldungen waren nicht erwünscht.

3 Der FDP-Nachwuchs macht offenbar den effektivsten Web 2.0-Wahlkampf: Aus dem Studio heraus setzten JuLi-Chef Johannes Vogel und seine Truppe pausenlos via Handy Agitprop-Jubelmeldungen über die liberalen Ergebnisse ab – via Twitter und Facebook.

4 Auch KT zu Guttenberg, der zu seinen vielen Vornamen neuerdings auch den des „CSU-Shootingstars“ trägt, ist offenbar nur ein Mensch, der Fehler macht. Angesprochen auf die Piratenpartei machte der oberfränkische Adlige einen ganz, ganz schalen, schon länger im Internet kursierenden Witz (Eine Frau sagt am Stand der Piraten: „Ich finde ja gut, was ihr fordert, aber das, was ihr vor Somalia macht, müsste nicht sein“). Prompt nutzte der stamokap-gestählte Grüne Jürgen Trittin Guttenbergs offene Flanke und holte sich mit säuselndem Lob für das Anliegen der Piratenpartei billigen Applaus ab.

5 So verbreitet, wie oft geunkt wird, kann die Politikverdrossenheit unter Deutschlands Jugend auch wieder nicht sein, wenn die „Zielgruppe“ immerhin bereit ist, satte 50 Cent abzudrücken, um per Festnetzanruf oder SMS für ihre Partei zu „voten“ (darunter sehr viele Anhänger der Linken, die eigentlich nicht verdächtig sind, allzuviel Kohle auf der hohen Kante liegen zu haben). Bleibt nur zu hoffen, dass die Generation Spaß es am Sonntag auch rechtzeitig aus den Federn schafft, um ganz real ins Wahllokal zu trotten und dort ihre Stimme abzugeben. Gratis!

6 Zum Aufgabenbereich des N24-Chefredakteurs Peter Limbourg gehört es offenbar, sich von Moderator Raab verhöhnen und als Karikatur eines politischen Journalisten vorführen zu lassen. Nicht genug, dass der Metzgersohn Limbourgs narkotische Moderation des Kanzlerduells verspottete – als sich der Nachrichtenmensch einmal versprach und etwas Unverständliches nuschelte, ätzte Raab sardonisch: „Darf's noch ein Schnäpschen sein, Herr Limbourg?“

7 Jetzt weiß Deutschland endlich auch, wie Stefan Raab wählt – nämlich „in halb gebückter Haltung“. Stundenlang hatte der Moderator vorher versucht, die Zuschauer am Bildschirm zu halten, indem er versprochen hatte, in der Sendung noch zu verraten, „wie ich wähle“.

8 Niedersachsens CDU-Ministerpräsident Christian Wulff wird nie Bundeskanzler! Sämtliche Restchancen verspielte er mit diesem an Peinlichkeit nicht zu überbietenden Satz, mit dem er sich direkt an die Wähler wandte: „Glauben Sie nicht denen, die Freibier versprechen. Vertrauen Sie uns, denn nur wir schenken Ihnen reinen Wein ein.“

9 ProSieben scheint ein Macho-Sender zu sein: Oder wie anders ist es zu erkären, dass weder unter den "Moderatoren" des Abends noch untern den Politiker-Gästen auch nur eine einzige Frau war?

Markus Jox

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