Kritik

AR-Brillen enttäuschen bei "Parsifal" auf den Bayreuther Festspielen

Ein moderner "Parsifal" bei den Bayreuther Festspielen: Jay Scheibs Inszenierung mit AR-Brille ist nur ein Wagner mit Bildschirmschoner.
Robert Braunmüller
Robert Braunmüller
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Amfortas (Derek Welton) im dritten Aufzug,
BF/Enrico Nawath 11 Amfortas (Derek Welton) im dritten Aufzug,
Das Schlussbild: Andreas Schager (Parsifal) mit Elina Garanca (Kundry, beide im Wasser) mit Georg Zeppenfeld und Herzeleide (rechts). Brillenträger sehen über den Protagonisten noch eine schwebende Gralstaube.
BF/Enrico Nawath 11 Das Schlussbild: Andreas Schager (Parsifal) mit Elina Garanca (Kundry, beide im Wasser) mit Georg Zeppenfeld und Herzeleide (rechts). Brillenträger sehen über den Protagonisten noch eine schwebende Gralstaube.
Mit solchen Bildern wird im zweiten Akt in der Brille die Verführungsszene zwischen Parsifal und Kundry überblendet.
Joshua Higgason 11 Mit solchen Bildern wird im zweiten Akt in der Brille die Verführungsszene zwischen Parsifal und Kundry überblendet.
Ein Besucher mit VR-Brille im Festspielhaus.
BF/Enrico Nawath 11 Ein Besucher mit VR-Brille im Festspielhaus.
Gurnemanz und die Knappen.
BF/Enrico Nawath 11 Gurnemanz und die Knappen.
Eine der Computergrafiken für die VR-Brillen.
Joshua Higgason 11 Eine der Computergrafiken für die VR-Brillen.
Georg Zeppenfeld und Andreas Schager,
BF/Enrico Nawath 11 Georg Zeppenfeld und Andreas Schager,
Gurnemanz (Georg Zeppenfeld) am Ende der Gralsszene.
BF/Enrico Nawath 11 Gurnemanz (Georg Zeppenfeld) am Ende der Gralsszene.
Die Blumenmädchen.
BF/Enrico Nawath 11 Die Blumenmädchen.
Parsifal mit Kundry im zweiten Akt.
BF/Enrico Nawath 11 Parsifal mit Kundry im zweiten Akt.
Georg Zeppenfeld (Gurnemanz) mit Parsifal (Andreas Schager).
BF/Enrico Nawath 11 Georg Zeppenfeld (Gurnemanz) mit Parsifal (Andreas Schager).

In den Siebzigern waren Laser das ganz heiße Ding. In den Achtzigern sollten Hologramme ganze Bühnenbilder ersetzen. Nun soll die AR-Brille die Bühnen erobern. Dafür gibt es vielversprechende Ansätze.

Und wo wäre das besser eingesetzt als bei Richard Wagners Musikdramen mit ihren bühnensprengenden Visionen? Das Wort "Kinder, schafft Neues!" des Komponisten liefert eine Ermunterung, der Satz "Zum Raum wird hier die Zeit" aus "Parsifal" könnte als theoretische Grundlage dienen.

"Parsifal" bei den Bayreuther Festspielen: Zusätzliche visuelle Effekte durch AR-Brillen

Im Bayreuther Festspielhaus dürfen heuer 330 Besucher das Bühnengeschehen von Jay Scheibs Neuinszenierung durch eine solche 1.000 Dollar teure Brille betrachten. Sie will erweiterten Durchblick mit zusätzlichen visuellen Effekten liefern. Aber das Ergebnis bleibt trotz hoher Kosten und einem enormen technischen Aufwand enttäuschend.

Es will etwas heißen, wenn sich Schwarz und Grün in einem Punkt einig sind. "Ich bin ohne die Brille mehr in die Inszenierung hineingekommen", sagte die Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Markus Söder hatte seine Brille "kaum angehabt". Er fand es ohne "ehrlich gesagt besser", sagte der bei Gaming-Technik bekanntermaßen begeisterungsfähige Ministerpräsident.

Lesen Sie auch

Bayreuther Festspiele: AR-Bilder erinnern an Bildschirmschoner

Tatsächlich erinnern die Bayreuther Bilderzuspielungen im Vergleich zu dem, was im Kino oder in Spielen dank Computer Generated Imagery (CGI) Alltag ist, an den guten alten Bildschirmschoner. Tauben und Schwäne fliegen scheinbar durch den Zuschauerraum, im dritten Akt schwimmt allerlei Müll von der Plastiktüte bis zu alten Autobatterien vor den Augen des Brillenträgers vorbei.

Höhepunkt des visuellen Spektakels ist der einstürzende Zuschauerraum des Festspielhauses am Ende des zweiten Akts. Und ganz zuletzt schwebt wie anno 1882 die Gralstaube über Parsifal und den übrigens Erlösten.

Ein Besucher mit VR-Brille im Festspielhaus.
Ein Besucher mit VR-Brille im Festspielhaus. © BF/Enrico Nawath

"Parsifal" ist künstlerisch eher mau – trotz VR-Brille

Man kann mit der Brille den Kopf seitwärts und nach unten schweifen lassen. Ein großer Vordermann wirkt weniger störend, und Wagner-Verächter können bei den langen Gurnemanz-Erzählungen die Umdrehungen des scheinbar im Zuschauerraum schwebenden Monds betrachten.

Künstlerisch bringt die Brille nicht viel. Die Bilder verdoppeln das Bühnengeschehen auf einer symbolischen Ebene. Ein Höchstmaß an Komplexität wird in der Gralsszene erreicht, wenn sich bei der Arie des Amfortas eine Schlange in den Schwanz beißt, um die Giftigkeit der ewigen Wiederholung des Rituals auszudrücken. Das ist etwas, aber letztendlich doch zu wenig.

Parsifal mit Kundry im zweiten Akt.
Parsifal mit Kundry im zweiten Akt. © BF/Enrico Nawath

"Parsifal"-Inszenierung von Jay Scheibs hat wenig zu erzählen

Leider hat Jay Scheibs Inszenierung auch sonst nichts zu erzählen. Parsifal scheint die Frucht der Liebe zwischen Gurnemanz und Herzeleide zu sein, die als Kundry-Double durch die Aufführung geistert. Der Gral ist ein Kristall, über den das mit Wasser verdünnte Blut des Amfortas gegossen wird. Und irgendwie und ganz diffus scheinen Seltene Erden und Bergwerke den Regisseur stark zu beschäftigen. Das ist aber unrunder als die legendäre Biogasanlage aus Sebastian Baumgartens missglücktem "Tannhäuser" von 2011.

Das alles eignet sich in stadttheaterhaften Arrangements, die ein wenig an Wolfgang Wagners letzte Inszenierungen gemahnen. Der Zaubergarten ist ein Hippie-Paradies mit viel Barbie-Rosa (Bühne: Mimi Lien). Und wenn in den Verwandlungsmusiken der Raum zur Zeit wird, passiert weder auf der Bühne noch in den Brillen sonderlich Aufregendes.

Eine finale Erlösungsschlacht

Man hält sich besser an die Musik. Die kurzfristig für einen Teil der Vorstellungen eingewechselte Elina Garanča erweist sich als intensivste Kundry seit Waltraud Meier. Ihre oft sehr helle Mezzo-Stimme hat an Volumen gewonnen.

Die liedhafte Herzeleide-Erzählung gestaltet sie so intensiv wie die großen Ausbrüche, die Femme-Fatale-Erotik und die Zerrissenheit. Mit dem gegen Ende der Proben für Joseph Calleja eingewechselten Andreas Schager liefert sich die Sängerin eine finale Erlösungsschlacht, wie sie Bayreuth schon länger nicht erlebt hat und die per Live-Video auf den Horizont projiziert wird.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

"Parsifal"-Besetzung bleibt mitunter unklar

Schager singt heldisch laut und – soweit möglich – auch einigermaßen subtil. Ein wenig mehr geistige Durchdringung und weniger Naturburschentum könnte ihm allerdings nicht schaden.

Der Bassist Georg Zeppenfeld muss nicht mehr gelobt werden: Er war bereits der souveräne Gurnemanz der Inszenierung des Jahres 2016, seine Ausflüge ins Heldenbaritonfach sind aber nicht spurlos an der Stimme vorübergegangen. Und ihm droht, wenn die Gestaltung hält, was das Material verspricht, demnächst ernste Konkurrenz durch den Bassisten Tobias Kehrer (Titurel).

Nicht ganz einzusehen ist, wieso angesichts des breiten Angebots herausragender junger Bariton-Interpreten der Amfortas in Bayreuth ausgerechnet mit einer typischen Klingsor-Stimme besetzt werden muss. Derek Welton singt seine drei Szenen ordentlich, aber ohne besondere Farben oder gar Nuancen und könnte mühelos mit Jordan Shanahan (Klingsor) die Rolle tauschen.

Amfortas (Derek Welton) im dritten Aufzug,
Amfortas (Derek Welton) im dritten Aufzug, © BF/Enrico Nawath

Bayreuther Festspiele: Eine sehr persönliche Interpretation des Dirigenten

Es ist kein pures Vergnügen, als Dirigent unter den besonderen Bedingungen des sehr tiefen Bayreuther Orchestergrabens zu debütieren. Pablo Heras-Casado gelang das Kunststück, über die reine Klangregie hinaus eine sehr persönliche Interpretation zu liefern, die vor allem im ersten und dritten Akt das Elegisch-Schmerzvolle der Musik betonte. Das alles wirkte subtil mit teilweise sehr langsamen Tempi ausgehört. Im zweiten Akt ließ sich der Dirigent von den Solisten mitreißen - ein Gegensatz, der in der Partitur angelegt ist. Dann dominierten wieder die gedeckten Farben,

Die wenigen Stellen, die Glanz, Kraft und Wucht verlangen, wirkten vorläufig noch ein wenig unterbelichtet, aber entwicklungsfähig. Heras-Casado hat zwar in Spanien bereits einen "Ring" dirigiert, auf der großen Wagner-Bühne ist er eine neue Farbe. Auch die Brillen sollte man nach diesem Fehlgriff nicht vorschnell verdammen. Aber es bräuchte für ihren Einsatz ein künstlerisches Müssen, nicht nur die Möglichkeit als Spielerei.


Bayreuther Festspiele, wieder am 30. Juli, 12., 15., 19., 23. und 27. August, eventuelle Restkarten bayreuther-festspiele.de

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.