Wagner, Brahms und Wodka

Mariss Jansons reiste mit seinen Musikern vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks durch Osteuropa und eroberte die Herzen von Sankt Petersburg.
von  Abendzeitung

Mariss Jansons reiste mit seinen Musikern vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks durch Osteuropa und eroberte die Herzen von Sankt Petersburg.

Andere Länder, andere Konzerte: In Zagreb war das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks nur die Vorgruppe. Nach Brahms, Wagner und Richard Strauss blieb die Bar im betonsozialistischen Kulturpalast geöffnet, und eine vierköpfige Band spielte nimmermüden Konzertbesuchern vor dem Saal zum Tanz auf.

In der kroatischen Hauptstadt begann die Osteuropa-Tournee des Orchesters. Am nächsten Tag ging es ins bulgarische Sofia. Der Zoll hielt die Instrumente so lange auf, dass die übliche Anspiel- und Akustikprobe vor dem Konzert ausfallen musste. Wegen fehlender Nebenräume schlüpften die Herren des Orchesters im Foyer in ihre Fräcke. Auch der weltberühmte Saal des Moskauer Konservatoriums hat zwar ein prächtiges Treppenhaus, aber kaum Garderoben. Hier bedeckten große Reise-Kisten vor einer Büste Tschaikowskys männliche Blößen.

Heimkehr nach Sankt Petersburg

Um einen Inlandsflug mit alten sowjetischen Maschinen zu vermeiden, reiste das Orchester noch in der Nacht mit dem Schlafwagen nach Sankt Petersburg. Der Auftritt in der Philharmonie wurde zum emotionalen und künstlerischen Höhepunkt: Der gebürtige Lette Mariss Jansons kam schon als Kind in die Stadt an der Newa, wo er bis heute lebt. Im Säulensaal des ehemaligen Adelsclubs wurde unter der deutschen Belagerung 1942 nicht nur Schostakowitischs „Leningrader Symphonie“ gespielt, hier begann auch Jansons’ Weltkarriere bei einem Meisterkurs: 1968 dirigierte er den Schluss des ersten Satzes aus Brahms’ Zweiter so überzeugend, dass Herbert von Karajan ihn einlud, sein Schüler zu werden.

Mit dieser Symphonie begann der Abend. Schon zur Pause wurde der Heimkehrer mit Blumen überschüttet. Auf den Stehplätzen drängten sich Schüler des in heute heruntergekommenen Räumen untergebrachten Musikgymnasiums, das Jansons in den 1950er Jahren mit dem Geiger Wladimir Spiwakow besuchte. Nach seinem Wechsel ans Konservatorium unterrichtete er den Pianisten Grigory Sokolov in Harmonielehre. Der ausverkaufte Saal bejubelte Wagners „Vorspiel und Liebestod“ aus „Tristan und Isolde“ ebenso wie die „Rosenkavalier“-Suite von Richard Strauss. Auch nach der in Petersburg beliebten Strauß-Polka „Ohne Sorgen“ als dritter Zugabe wollte das rhythmisch klatschende Publikum die Musiker lange nicht ziehen lassen.

Menschliche Nähe

Beim Orchester bedankte sich Jansons mit einem Abendessen im Michaels-Schloss des Zaren Paul I. Unter Gemälden des 18. Jahrhunderts begeisterte nach der Vorspeise das Terem-Ensemble mit witzigen Bach- und Schubert-Paraphrasen auf der Balalaika. Ausnahmsweise trank sogar Jansons, der wegen seines Herzleidens Alkohol meidet, einen kleinen Wodka auf den Erfolg der Reise.

In solchen Momenten wird spürbar, wieso das BR-Symponieorchester seinen Chef so liebt: Jansons hat die Musiker nicht nur künstlerisch weitergebracht, er ist ihnen auch menschlich nahe. Heinrich Braun vom Orchestervorstand nutzte die Gunst der Stunde: Er bat Hörfunkdirektor Johannes Grotzky, alles in seiner Macht Stehende für eine Verlängerung des Vertrags von Mariss Jansons über 2012 hinaus einzusetzen.

Auch der Münchner hat was davon

Mancher mag sich fragen, ob ein durch Rundfunkgebühren finanziertes Orchester in Russland auftreten muss. Im Unterschied zu den gewinnträchtigen Japan-Gastspielen ist bei dieser Tour nur deshalb eine schwarze Null zu erwarten, weil sich eine Bayern ebenso wie Osteuropa tätige italienische Großbank mit 400 000 Euro beteiligte.

Aber auch hiesige Konzertgänger haben etwas davon. Auf Reisen wird ein Orchester zur verschworenen Gemeinschaft. „Gastspiele sind eine geistige Spritze“, glaubt Mariss Jansons. „Der Mensch braucht Höhepunkte. Es steigert die Qualität der Konzerte in München, wenn sich die Musiker auf dem Podium an die Ephorie des Abends in Petersburg erinnern.“

Robert Braunmüller

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