Voralpines Ehedrama a la Bergman: Cherubinis "Médée"

Salzburg - Der Mythos von der Kindsmörderin "Medea" als Roadmovie im Salzburger Land: So könnte man die Neuinszenierung von Luigi Cherubinis selten gespielter Oper bei den diesjährigen Salzburger Festspielen auf den Punkt bringen.
Was der australisch-schweizerische Regisseur Simon Stone am Dienstagabend auf die Bühne des Großen Festspielhauses brachte, war eine recht prosaische Angelegenheit mit erweitertem Suizid im brennenden Auto an einer Tankstelle im voralpinen Nirgendwo. Kurzweilig war er durchaus, dieser umjubelte Opernabend. Doch der Mythos blieb im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke.
Dabei ist die Medea-Sage nicht nur eine der blutrünstigsten, sondern auch wirkungsmächtigsten der antiken Mythologie. Die Zauberin Medea, Tochter des Königs von Kolchis, hilft dem Abenteurer Jason, in den sie sich verliebt hat, das mit der Aura der Macht umgebene Goldene Vlies zu rauben. Als Verräterin am eigenen Volk flieht sie mit Jason und den beiden gemeinsamen Kindern nach Korinth. Doch verstößt er sie zugunsten der Tochter Kreons, des Königs von Korinth. Medea, tief verletzt, sinnt auf Rache, tötet Kreon und ihre Nebenbuhlerin und schließlich die beiden Kinder.
Schon Cherubinis in französischer Sprache geschriebene Oper blendet die magischen Aspekte des Mythos weitgehend aus. Stone geht noch einen Schritt weiter und macht daraus ein Allerwelts-Ehedrama im Salzburger Unterweltmilieu, wo Créon eine Table-Dance-Bar betreibt. Jason ist dessen Strizzi-hafter Kompagnon vom Phänotyp Heinz-Christian Strache. Ganz klar wird es in der Inszenierung nicht - aber offenbar handelt es sich bei dieser Médée um eine ehemalige Sexarbeiterin aus der früheren Sowjetunion, die er aus dem Milieu herausgeholt und geheiratet hat.
Die beiden haben zwei Kinder und leben in neureichem Wohlstand, inklusive SUV, Designer-Wohnung und Seegrundstück im Salzkammergut. Es kommt, wie es kommen muss. Er nimmt sich die Tochter des Chefs und schickt Médée in ihre Heimat zurück.
Doch dummerweise liebt sie ihn immer noch und vermisst vor allem die beiden Kinder. Aus einem verlotterten Internet-Café in Tiflis versucht sie, über Skype Kontakt zu halten. Dann reist sie illegal zurück, wird am Flughafen festgenommen, aber auf Betreiben des mächtigen Créon kurzzeitig freigelassen, damit sie noch einmal die Kinder umarmen kann. Soviel Herz muss sein. Sie aber hat sich vorgenommen, blutige Rache zu üben, tötet auf Jasons Hochzeitsfeier ihre Nebenbuhlerin und deren Vater und entführt die beiden Kinder im Auto.
Das ist kurzweilig inszeniert mit langen Schwarz-weiß-Filmsequenzen in Bühnenvorhangbreite wie aus einem Beziehungsdrama von Ingmar Bergman. Die verschiedenen Schauplätze sind über eine doppelstöckige Setzkastenbühne verteilt. Die beiden letzten Bilder sind beklemmend: eine S-Bahnstation, wo sie noch einmal die Kinder sehen darf, und eine Tankstelle, Schauplatz des finalen Showdown, kalt und unpersönlich wie ein Gemälde von Edward Hopper. Am Ende hätte man sich noch gewünscht, dass das Auto, das Médée mit Benzin aus der Zapfpistole getränkt hat, mit einem lauten Knall in die Luft fliegt. Stattdessen kokelt es nur vor sich hin.
Die russische Sopranistin Elena Stikhina gibt an diesem Abend ihr gefeiertes Debüt bei den Festspielen. Sie singt kraftvoll und engagiert, doch bleibt die Motivation ihrer abscheulichen Taten etwas im Ungefähren. Der tschechische Tenor Pavel Cernoch steigert sich erst zum Ende hin. Für die nur mäßig inspirierte Partitur des Beethoven-Zeitgenossen Cherubini (1760-1842) kann Dirigent Thomas Hengelbrock, Altstar der Alten Musik, nichts. Doch leider malt er am Pult der Wiener Philharmoniker und der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor mit breitem Pinsel und lässt Pianokultur weitgehend vermissen.
Fazit: Gute, etwas platte Unterhaltung. Wer sich vom Medea-Mythos packen lassen möchte, kann sich in Salzburg Pier Paolo Pasolinis legendären Medea-Film anschauen, mit einer Maria Callas, die nicht singt.