Von der Pommesgabelhaftigkeit

Vor ein paar Jahren hat Sven Regener, der Sänger von Element of Crime die Möglichkeit des Internet-Blogs entdeckt – jetzt gibt es die gesammelten Veröffentlichungen: als Buch
Christian Jooß |
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Was schreibt man da so rein, in dieses Internetz, wenn man als ein auf die 50 zugehender Musiker und Autor sich zum ersten Mal mit der Idee konfrontiert sieht, einen Blog zu befüllen? Am Montag, den 19. September 2005 meldet sich Sven Regener unter der Überschrift: „Ob das wohl klappt?!” um sich hocherfreut selber zu antworten „Na bitte, klappt doch!” Und im Überschwange lässt er sich hinreißen: „Später mehr.”

Man sieht den Element-of-Crime-Sänger und schreibenden Vater des Herrn Lehmann, wie er in jenem September 2005 sich mit zufrieden hängenden Augenringen zurücklehnt und auf die Zeilen blickt, die er eben, fast in Echtzeit in diesen digitalen Raum gestellt hat. Und hinter dem schwarzen Gestell seiner Buddy-Holly-Brille keimt die Ahnung, dass diese komische neue Welt einen hübschen Spielplatz abgeben könnte.

Bis Anfang 2010 hat Regener für zeit.de, intro.de, andere und in eigener Sache als Tour-Blog seine täglichen Gedanken mit den Online-Interessierten geteilt. Jetzt ist das Ganze als Buch unter dem Titel „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner” erschienen.

Warum das sogar besser funktioniert als im Originalmedium? „Das Flüchtige und Unernste daran macht Spaß, gerade weil es bei Element of Crime oft so ernst zugeht. Die Idee des Interaktiven aber ist verlogen und ein Irrtum. Im Grund will man ja gar nicht in Kontakt treten mit Leuten, deren Kunst man bewundert, man will ja eigentlich die Distanz wahren”, erzählte uns Regener 2009. Und bewies damit, dass man von den Heilsversprechungen des Netzzeitalters weiter nicht entfernt sein kann. Ist ja auch kein Zufall, dass Regener schnell die Kommentarfunktion zu seinen Blogs sperren ließ. Weil sie eh nie zwanghaft digital-kommunikativ waren, liest man heute die Einträge lieber am Stück, als online auf den nächsten Post zu warten.

Der Blog-Freiraum ist ein Ort an dem die Nichtigkeiten wuchern dürfen. Und als Gesprächspartner ex Machina hat sich der Regener den Hamburg-Heiner erfunden. Der ist so etwas wie die in den Blog eingebundene Kommentarfunktion. Ein alter Bekannter, der regelmäßig den Sven anruft, um über alles und vor allem das Nichts zu diskutieren. In Nashville bei der Abmischung des Albums versorgt uns Regener mit Fotos der Bandschuhe. Der Hamburg Heiner mahnt Technikfotos an. Und Regener schenkt uns eines und textet darunter: „Studer 24-Spur-2-Zoll-Bandmaschine: Wenn sich die Spulen drehen kommt irgendwo Musik raus.”

Harte On-The-Road-Fakten, da sind sich Dylans-Biografie und Regeners-Einträge gleich, muss man hier nicht suchen. Obwohl. 5. März 2007: „Jakob verliert beim Soundcheck ein Plektrum und lässt es einfach liegen.” Das sind Ausnahmen. Denn während drinnen die Musik spielt ist Regener wie ein verträumter Schüler der klassische Aus-dem-Fenster-Gucker. Einer, der aus dem Tourbus knippst, im dreizeiligen Plakatschriftzug von Element of Crime die Pommesgabelhaftigkeit der äußeren Anmutung erkennen mag und es als eindeutiger Fleischfreund schafft, im Fraunhofer seine Schweinshaxe so zu fotografieren, dass einem ob dieses unscharf braun grauen Haufens ganz anders wird.

Im Fluss des Beiläufigen bis Belanglosen schwimmen allerdings auch in diesem Tagebuch die wertvollen Einsichten für den, der offenen Auges durch diese Welt schlendert. Beispielsweise die mit Hamburg Heiner diskutierte Frage, wie „O Tannenbaum” in Noten niederzuschreiben ist. Das nämlich hat nur vordergründig einen 3/4-Takt und ist eigentlich eines der kompliziertesten Lieder überhaupt.

Für Münchner möglicherweise interessanter ist Regeners kurz vor Schluss gelieferte Reflexion mit Bildstrecke über die Kultfabrik: „...die Kultfabrik hat bei vielen Leuten keinen guten Ruf, weil sie trashig und billig daherkommt, aber das tun Coney Island und Las Vegas auch”, findet Herr Regener und belegt dieses These mit schneeverstöberten, menschenleeren Fotos des Amüsiergeländes, aufgenommen im grauen Licht eines Wintertages. Poesie ist möglich – ob digital oder analog.

Sven Regener: „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner. Logbücher.” (Galiani, 423 S.) am 19. Mai liest Regener in der Muffathalle

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