Vom wa(h)ren Wert
Residenz Theater: Tina Lanik inszeniert Georg Kaisers „Von morgens bis mitternachts“. Lambert Hamel glänzt in der Hauptrolle
Routiniert und korrekt verrichtet der Mann am Bankschalter seine Arbeit: Er stempelt zahllose Quittungen und zählt Bündel von Geldscheinen. Ein Mann in Grau, mit Brille, Schnauzer und unerschütterlich müder Miene. Lambert Hamel macht aus dieser ersten Szene ein Kabinettstück. Im Residenz Theater inszenierte Tina Lanik Georg Kaisers expressionistisches Stationendrama „Von morgens bis mitternachts“ als grellfarbene Nummernrevue mit teils surrealistischen Bildern. Nach zwei pausenlosen Stunden freundlicher Beifall.
1912 schrieb Georg Kaiser sein kapitalismuskritisches Erstlingsdrama, 1917 wurde es im Münchner Residenztheater uraufgeführt, 1920 erfolgreich verfilmt. Als eine fragwürdige Dame im Pelz das Flair der großen Welt an den Bankschalter trägt, erwacht in dem ergrauten Kassierer die Lebensgier – er brennt mit 60000 Mark durch. Doch die vermeintliche Hochstaplerin (Juliane Köhler), der er sein Geld zu Füßen legen will, entpuppt sich als echte Dame. Nun sucht er verzweifelt nach einem Gegenwert. Er denkt sich das Leben als Tausch: „Ich habe das Geld bar! Wo ist die Ware, die man mit dem vollen Einsatz kauft?“, sinniert er, während ein als Tod geschminktes Mädchen fedrigen Schnee auf ihn rieseln lässt.
Kühl und grotesk
Der Tod und das Mädchen sind in Laniks Inszenierung eins und in fast jeder Szene präsent – eine Vorwegnahme des selbstmörderischen Endes. Denn die Suche des Kassierers nach der Ware, die sein Geld wert ist, ist eine Spirale der Enttäuschung. „Geld verschlechtert den Wert“ steht in Riesenlettern über der orangefarbenen Bühne (Stefan Hageneier), die mal flacher Guckkasten, mal schillerndes Spiegelkabinett ist, in dem sich das Publikum als Adressat der Botschaft sieht.
Lebensintensität will der Kassierer, das, was in seiner spießigen Familie mit Frau, Großmutter und Tochter nicht vorhanden ist. Emotion findet er beim Sechstagerennen, wo er die Stimmung mit sinnlos hohen Wetten anheizt. Da stellt Lanik vor die orange Wand fünf Radrennfahrer in neongrünen Anzügen, die sich langsam verschieben wie eine bewegliche Skulptur – ein starkes Bild. Zärtlichkeit sucht der Kassierer im Luxusrestaurant, wo ihm der Kellner grotesk aufgeputzte Damen zuträgt, die betrunken, hässlich oder verkrüppelt sind. Ein Wert ist für sein Geld nicht zu haben.
Geld ist Schwindel
Bei einer Sekte, die unter Anleitung eines Prediger-Gurus (Oliver Nägele) ihr Seelenheil in Gruppentherapie mit öffentlichen Sündenbekenntnissen findet, begreift er: „Das Geld ist der armseligste Schwindel unter allem Betrug!“ Der glänzende Lambert Hamel spielt diese tödliche Erkenntnis wie die ganze Figur mit trockener Gefasstheit und scharfer Kontur. Und das Ensemble (Oliver Nägele auch als Bankdirektor, Juliane Köhler als Dame, Anne Schäfer als Tod, Gabi Geist, Wolfgang Menardi und Dennis Herrmann) überzeugt in allen wechselnden Rollen.
Tina Lanik findet starke, surrealistische und grell-groteske Bilder, die der bravourös bewältigten expressionistischen Sprache entsprechen. Allerdings hat die kühle Aufführung auch deutliche Längen. Und die subversiven Songs der Wiener Popmusikerin Gustav alias Eva Jantschitsch, bis auf einen für diese Inszenierung geschrieben, verdoppeln mit zarter Stimme und harten Sätzen Kaisers plakative Gesellschaftskritik in heutigem Ton.
Gabriella Lorenz
Residenz Theater, 26. Dez., 2., 7., 10., 24., 19. Jan., Tel. 2185 1940
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