Vom Hamsterrad in den Himmel ohne Geigen
Seit 30 Jahren tritt Anne-Sophie Mutter weltweit auf – und ist dennoch in einem Alter, in dem andere Künstler ihre Karriere erst beginnen. Doch jetzt kündigt die weltberühmte Geigerin eine längere Pause vom Konzertbetrieb an.
Keine Berufsmusiker – ein Wahnsinniger in der Familie reicht“, gesteht Anne-Sophie Mutter (45) auf die Frage nach der Fortführung der musikalischen Familientradition durch ihre zwei Kinder. Aber natürlich wird bei der Weltklasse-Geigerin zuhause musiziert.
Mutter: „Wir haben viel gesungen, die ersten acht Jahre gehörte das zum abendlichen Ritus. Meine Kinder spielen Instrumente, haben Privatunterricht. Aber wir musizieren selten zusammen, weil das Haus schon so voll ist mit Musik, dass man andere Dinge macht. Meine Tochter ist leidenschaftliche Tänzerin und mein Sohn, ich weiß nicht, ob er eine Sportskarriere anstrebt, jedenfalls macht ihm das viel Freude.“
Leben im Hamsterrad
Seit 30 Jahren tritt Mutter weltweit auf – und ist dennoch in einem Alter, in dem andere Künstler ihre Karriere erst beginnen. Doch jetzt kündigt die weltberühmte Geigerin eine längere Pause vom Konzertbetrieb an. Mutter: „Ich will aus der Distanz überprüfen, ob das Hamsterrad, in dem ich mich bewege, das Hamsterrad ist, in dem ich leben möchte. Es kann sein, dass ich nach meinem Halbjahres-Sabbatical, das nächsten Sommer beginnt, genauso stark weiter konzertiere oder meine Reisestruktur völlig über den Haufen werfe.“
Tatsächlich will Mutter die Geige auch mal links liegenlassen „Ich war nie ein Vielüber im Sinne von endlosen Stunden täglich. Ich war immer ein sehr intensiver und konzentrierter Studierer.“
Münchner Kunstsinnigkeit
Und vielleicht bleibt ja dann auch Zeit, das Leben in ihrer Wahl-Heimat München zu genießen? „Ich lebe gerne in München. Es ist die Nähe zu den Bergen, den Seen. Das ist die Mitte Europas. Es ist die Offenheit, die mich an Bayern reizt, die Natürlichkeit, die Direktheit der Menschen, ihre Kunstsinnigkeit. Ich liebe die Museen, nicht umsonst habe ich mich am Bau der Neuen Pinakothek aktivst beteiligt. Und wir verfügen deutschlandweit über die besten Orchester und Dirigenten.“
Neben ihrer Konzertkarriere, liegt ihr besonders die Nachwuchsförderung am Herzen; und Mutters Engagement ist weitgreifend: „Da ist der Freundeskreis und da ist die Anne-Sophie-Mutter-Stiftung. Wir fördern weltweit Streichernachwuchs, also auch Cellisten, Bratschisten und Kontrabassisten. Wir beschaffen Instrumente, verleihen diese, suchen Lehrer, stellen Verbindungen her zu großen Kollegen. Das ist Spitzenförderung, die eigentlich keinen Wunsch offen lassen sollte.“
Musik in den Kindergärten
Darüber hinaus engagiert sie sich auch für die musikalische Früherziehung: „Die ist noch nicht so gut entwickelt. Das ist der Versuch, bayernweit Musik in die Kindergärten zurückzubringen. Es gibt eine Pilotstudie und den freiwilligen Einsatz, der nur von Kindergärtnerinnen zu bewerkstelligen ist, die einen gewissen musikalischen Hintergrund haben.“ Viele Menschen heutzutage könnten nicht mal mehr Notenschrift lesen. „Da ist auch das Lieder-Singen schwierig. Da sind Versäumnisse aufzuholen, die nicht erst gestern entstanden sind“, bemängelt Mutter.
Und über den Geigen-Nachwuchs äußert sie sich kritisch: „Es kann ja nicht Sinn und Zweck sein, dass wir Klone heranbilden. Ich erinnere mich nicht, dass es je so viele junge Geigerinnen gegeben hätte. Ich wünsche mir, dass wir wieder eine Generation von Musikern ausbilden, die Individualität des musikalischen Ausdrucks und Verantwortungsbewusstsein gegenüber modernem Repertoire, aber auch ein soziales Gewissen mitbringen.“
Paul Winterer