Vom andern Stern

Skurril, berührend und irgendwie altmeisterlich – Ingvild Goetz zeigt in ihrer Sammlung Arbeiten des polnischen Künstlers Pawel Althamer
von  Christa Sigg

Wahre Heldentaten verfolgen einen das ganze Leben. Und vermutlich werden noch die Nachkommen von Pawel Althamers sieben Kindern die unglaubliche Chuzpe ihres Altvorderen besingen. Der stellte seine Professoren an der Warschauer Akademie auf eine harte Probe: Statt  beim Examen selbst anzutreten, setzte ihnen Althamer ein virtuoses Selbstporträt aus organischen Materialien wie Tierdärmen und Wachs vor die Nase. Dazu lief ein Video, auf dem er die Akademie in Richtung Wald verlässt, sich auszieht und nackt „mit der Natur vereinigt“.

Zwanzig Jahre ist das her, der mittlerweile 45-Jährige lässt sich immer noch gerne vertreten, und wenn er doch selbst aufkreuzt, wie vor ein paar Tagen in der Sammlung Goetz, dann im uniformen Pulk: Eine ganze Gruppe von Leuten in goldenen Raumfahreranzügen kam im ebenso goldenen Bus nach Oberföhring gedüst, und so genau wusste man wirklich nicht, unter welcher Montur sich der Spiritus rector des Spektakels nun versteckt hatte.

Der Urheber taucht ab im spirituellen Miteinander

Althamer entzieht sich dauernd, das bringe, wie er sagt, den richtigen Prozess in Gang. Und die Frage nach dem individuellen Urheber verliert sich gleichzeitig in einer Art spirituellem Miteinander. Andererseits macht sich der gelernte Bildhauer, der die Grenzen des Kunstbetriebs so gerne austestet, um sie dann gleich zu ignorieren, mit seinem Konterfei zum permanenten Mittelpunkt seines Œuvres. Sei es mit einer mächtig aufgesockelten Kleinskulptur, die ihn als embryonales Würmchen mit erwachsenem Antlitz zeigt, sei es in der Atelierszene mit seiner Frau in massivem Aluminium („Matea“, 2006) – oder völlig zugekifft in einer Badewanne mit tiefroten Fleisch(?)-Fetzen spielend.

Irritierend ist das, besonders, wenn er in diesem Video weiter am Joint nuckelt. Denn man weiß nie so recht, ob sich der irr mit den Augen rollende Anthony-Perkins-Verschnitt da mit blutigem Gewebe einreibt oder einfach nur in Rotweintrester suhlt. Um bei genauerer Recherche schließlich zu erfahren, dass das grausige Zeug aus der Arbeit „Cardinal“ nur gefärbtes Styropor ist.

Im Kopf reif für die Anstalt

Die Drogen müssen allerdings echt gewesen sein, so überzeugend kann man das gar nicht spielen. Aber vielleicht muss sich einer, dem alles scheinbar lässig leicht von der Hand geht, der mit seinem unglaublichen Gedächtnis in der Werkstatt binnen Minuten das Gesicht eines eben gesehenen Obdachlosen exakt nachformen kann („Guma“, 2008), sein allzu bewusstes Ich zwischendurch ausschalten. So wie Althamer eben auch abtaucht ins Kollektiv.

Von wem nun die Keramikschädel in der Vitrine im Untergeschoss konkret gefertigt wurden, weiß auch keiner. Sie sind in einem Rehazentrum entstanden, wo der Künstler Kurse für Pfleger und MS-Kranke gab. Auch Althamers erwähnte Gemeinschafts-Performance in Gold mit dem schönen Titel „Common Task“ ist ein Langzeitprojekt unter Freunden. So wie sein „Denkmal“ für die „Bródno People“.

Das zeigt eine Gruppe aufbruchfreudiger Menschen aus Althamers Nachbarschaft in der Warschauer Plattenbausiedlung Bródno. Irgendwie erinnern sie an Rodins „Bürger von Calais“. Und auch wieder nicht. Der Gehalt ist so wenig fassbar, wie Althamer selbst. Dieses Unikum, das alles Mögliche sein kann – in einer Wahnsinnsfantasie mit ungewissem Ende. Er sagt ja auch von sich selbst, dass durch seinen Kopf Dinge geisterten, die ihn, würde er davon offen erzählen, sofort in die Anstalt brächten.

Bis 6. Oktober 2012, Sammlung Goetz, Oberföhringer Str. 103, Mo bis Fr 14 bis 18, Sa 11 bis 16 Uhr, um Voranmeldung unter Tel.95939690 wird gebeten

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