Viren als Marketing für den Horror

»Cloverfield« schlug in den USA wie eine Bombe ein und platzte
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»Cloverfield« schlug in den USA wie eine Bombe ein und platzte

Was bedeutet 1-18-08? Vielleicht handelt es sich um einen mysteriösen Zahlencode, möglicherweise auch um ein Datum, ähnlich dem des 9/11. Was man seit Herbst für wenige Minuten zu sehen bekam, gab Anlass zur Sorge. Ohne Vorwarnung hatten US-Kino-Verleiher vor Hauptfilme verwackelte Digitalkamerabilder von einer Party in New York gespannt: Ein plötzliches Beben beendet die ausgelassene Stimmung schlagartig. Aus der Sicht einer Digitalkamera rast man auf das Dach des Hauses. Es ist Nacht. Ein Feuerball erhellt die Stadt. Panik bricht aus. Der abgetrennte Kopf der Freiheitsstatue schlägt in unmittelbarer Nähe ein.

Schnitzeljagd im Netz

Die ratlosen Kino-Zeugen dieser Bilder setzten alles daran, das Rätsel mit Hilfe des Internets zu lösen. Es ist kaum vorstellbar, aber trotz perfekter globaler Vernetzung weiß zunächst niemand etwas mit der beunruhingenden Vorankündigung anzufangen. Dass es sich um einen Filmtrailer handeln könnte, wird ausgeschlossen. Denn es gibt keine Meldung auf der zuverlässig bestinformierten Movie-Database. Keine Drehberichte, keinen Titel, kein Starttermin für etwas, das mit 1-18-08 zu tun hätte, ist ermittelbar. Im Internet-Portal YouTube kursieren bald Filmschnipsel, die sich zu einer Schnitzeljagd im Netz zusammensetzen lassen. Überall suchen – nicht nur Filmfreaks – nach Hinweisen, die Aufschluss geben könnten über den bedrohlichen Zahlencode. Dann taucht die Website www.1-18- 08.com auf und zeigt fünf mysteriöse Polaroidfotos mit Zeit- und Datumsstempeln. Auf einem Bild sind zwei Frauen zu sehen, die angeblich nur eine darstellen sollen – ihr Gesicht sei lediglich geteilt worden.

Dann findet die Spannung eine Ende: Die „magische Formel“ stellt sich als ein banaler Hinweis auf den US-Kino-Starttermin am 18.1.08 von „Cloverfield“ heraus.

Gerüchten zufolge verbirgt sich J.J. Abrams hinter dem Projekt. Abrams, der für seine Mystery-TV-Serie „Lost“ kultisch verehrt wird und auch im Kino mit „Mission Impossible“ erfolgreich war, gilt in Hollywood als neuer Spielberg. Die geplante Wiederbelebung des „Star-Trek“-Kosmos ist bekannt, von „1-18-08“ wussten allerdings selbst seine eingefleischtesten Fans nichts.

Ein Hype wie einst um „Blair Witch Project“

Was folgt, erinnert stark an den Hype, der 1999 um das „Blair Witch Project“ ausgebrochen war. Die Produktionsfirma Paramount und J.J. Abrams unterstützen das Aufkommen der wildesten Verschwörungstheorien: „Heutzutage ist wirklich niemand mehr von einem Film überrascht, jeder weiß, was als nächstes kommt. Wir wollten die Leute überrumpeln.“

Das Schlüsselwort dafür heißt „virales Marketing“. Dabei wird die Werbebotschaft durch soziale Netzwerke wie eine Virus-Epidemie weiterverbreitet, ohne dass der unmittelbare Zusammenhang zum beworbenen Produkt gleich deutlich wird.

Abrams beherrscht dieses kostengünstige Konzept meisterhaft und setzte es bereits zwischen den beiden ersten Staffeln von „Lost“ ein. Bei „1-18-08“ geht er noch weiter, indem er im Online-Netwerk MySpace Profile für seine Filmfiguren anlegt. Zudem erstellt er mit seinem Team virtuelle Nachrichtensendungen, die problemlos auf YouTube und anderen Videoportalen abrufbar sind.

Uramerikanische Ängste

Dabei schreckt er nicht davor zurück, mit uramerikanischen Ängsten, geschürt durch den 11. September, zu spielen. In halbdokumentarischen Bildern werden Terror-Angriffe auf New York suggeriert, die im einprägsamen Filmplakat mit der kopflosen Freiheitsstatue kulminieren. Auf diesen Plakaten veröffentlicht Paramount auch erstmals den Filmtitel „Cloverfield“.

Im Gegensatz zum ähnlich beworbenen Horror-Trash „Snakes On A Plane“ geht die vielleicht raffinierteste Werbe-Kampagne der letzten Jahre auf. Die Produktionskosten von 25 Millionen Dollar gingen beinahe vollständig für Spezialeffekte drauf. Schon am ersten Wochenende spielt „Cloverfield“ das Doppelte ein. Der Januar, traditionell der schwächste Filmmonat in den USA, erfährt eine ungewohnte Geld-Infusion.

Trotz guter Kritiken herrschte Zweifel darüber, ob das Publikum auch in der zweiten Woche, als das Geheimnis um „Cloverfield“ gelüftet war, noch Interesse haben würde. Die Antwort war eindeutig: Der Film stürzte ab wie die Aktienkurse an der Börse. Und wegen der vielen Wackelbilder warnen Plakate in US-Kinofoyers vor Übelkeit. Ein Gesetz bewahrheitete sich: Ist das Geschenk erst ausgepackt, ist die Spannung dahin. Florian Koch

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