Vier Romane in drei Stunden
Die nächsten Passionsspiele gibt es in Oberammergau zwar erst im Jahre 2020,
aber Christian Stückl überbrückt die Wartezeit diesen Sommer mit „Joseph und seine Brüder”
Schon wieder Sommer-Theater in Oberammergau? Die nächste Passion findet doch erst 2020 statt! Aber der Spielleiter Christian Stückl (nebenberuflich erfolgreicher Intendant des Münchner Volkstheaters) ist Oberammergauer mit Leib und Seele sowie Sitz im Gemeinderat. Das Passionstheater muss regelmäßig bespielt werden, findet er, und beruft sich auf eine Oberammergauer Tradition: Seit dem 18. Jahrhundert gibt es die „Kreuzschul”, Aufführungen in den zehn Jahren zwischen den Passionsspielen. Man muss ja die nächsten Jesusse casten. Diese Tradition hat Stückl 2005 mit „König David” und 2007 mit „Jeremias” wieder belebt. Jetzt will er die Laien-Spiele zum alljährlichen Event machen. Heute hat seine Inszenierung „Joseph und seine Brüder” nach Thomas Mann Premiere – mit 200 Mitspielern und Kamelen auf der Bühne.
Gage gibt's keine
Für die Vermarktung der Marke Passionstheater hat Stückl mit seiner Stamm-Crew – darunter Bühnenbildner Stefan Hageneier und Komponist Markus Zwink – eine GmbH gegründet. „Wir brauchen Planungssicherheit, damit wir nicht jedes Jahr den Gemeinderat um Geld fragen müssen”, erklärt er. Alle Oberammergauer können sich als Darsteller bewerben, nur haben sie im Gegensatz zur Passion kein Mitspiel-Recht. Gage gibt's auch nicht, nur die Ehre des Engagements.
Auf der Suche nach bibel-affinen Stoffen stieß Christian Stückl auf Thomas Manns Roman-Tetralogie „Joseph und seine Brüder” durch John von Düffels Theateradaption. Die dauerte 2009 in Düsseldorf sechs Stunden und war auf wenige Schauspieler konzentriert – beides unbrauchbar für Oberammergau. Also schrieb Stückl in sechsmonatiger Nachtarbeit seine eigene Textfassung. „2500 Seiten, da muss man wahnsinnig verkürzen”, stöhnt er. „Das war schwierig, weil ich keine Erzählerfigur wollte, sondern eine reine Dialogfassung. Jetzt ist der Text zu 99 Prozent von Thomas Mann.” Knappe drei Stunden soll die Aufführung dauern.
"Tu den Jesus weg"
Frederik Mayet, der Passions-Jesus von 2010, spielt den Lieblingssohn des Patriarchen Jaakob, den seine eifersüchtigen Brüder als Sklaven verkaufen. Joseph macht in Ägypten Politkarriere, landet wegen verleumderischer Anklage auf Vergewaltigung im Knast, steigt aber durch Traumdeutung und ökonomische Klugheit zum Stellvertreter des Pharao auf und versöhnt sich mit seinen Brüdern. Bei den Proben hat Stückl zu Mayet gesagt: „Tu den Jesus weg, den brauch mer hier net. Joseph ist kein Heiliger.”
Im ersten der vier Bücher erzählt Thomas Mann die Geschichte des Vaters Jaakob. Die lässt Stückl weg, nur die Vater-Sohn-Grundkonstellation bleibt wichtig: „Jaakob hat immer mit Gott gerungen, er fühlt sich als Mensch zu schwach”, erläutert Stückl. „Joseph dagegen nimmt alles leicht – Gott macht alles mit ihm. Auf der Suche nach der Karriere bastelt er sich seinen Gott zurecht, um seine weltlichen Ziele zu erreichen. Doch Jaakob sagt ihm am Ende: Vor Gott hast Du nichts erreicht. Joseph baut sich die Welt zusammen, wie er sie braucht, und muss erkennen, dass er ganz klein geblieben ist. Es geht drum, wie jemand mit seinem Leben und mit Gott umgeht. Das Alte Testament erzählt ja kein Heiligendrama, sondern erzählt vom Menschen, wie er halt ist.”
Danach soll’s in Oberammergau aber auch mal gut sein mit dem Alten Testament. „Wir wollen nicht die Bibel rauf und runter spielen”, sagt Stückl. Für 2012 plant er Shakespeares „Antonius und Cleopatra”.
Passionstheater Oberammergau, 15./16., 29./30 Juli, 5./6., 13./14. August, 20 Uhr, Karten unter Tel.08822/945 88 88